Todtstelzers Krieg
Bord gekommen. Sie standen
gemeinsam an der Reling und starrten verdrießlich auf die
Menge am Ufer. Reineke Bär und der Seebock lachten und
winkten, und der Bock reagierte überraschend liebenswürdig
auf die gelegentlichen Pfiffe. Die Menschen winkten der großen Spielzeugmenge zu, anfangs ein wenig unsicher, doch
dann mit immer größerer Lässigkeit , nachdem sie sich von der
allgemeinen guten Laune und Fröhlichkeit hatten anstecken
lassen. Ein paar der Spielzeuge brannten Feuerwerk ab , und
strahlende Blumen aus Rot, Grün und Gelb erblühten im Licht
der heraufziehenden Nacht. Missis Merry Truspott tutete ununterbrochen, und so nahm die große Reise ihren Anfang.
Nicht lange danach standen die Menschen allein an der Reling und sahen den dunklen Fluten zu, die an der Missis Merry
Truspott vorüberzogen. Sie hatten Spielzeugstadt hinter sich
gelassen, und das Land verschwand in der Dunkelheit. Ketten
aus hellen Papierlampions beleuchteten das Deck. Tobias
seufzte laut.
»Seht Euch das gut an, Leute«, sagte er. »Das ist für eine
ganze Weile die letzte Aufregung, die wir haben werden. Ich
meine, das Schiff ist ja sehr hübsch und alles, aber es gibt keinerlei Abwechslung! Es sei denn, Ihr spielt gerne Kinderspiele.
Davon sind reichlich vorhanden. Ich kann nicht glauben, daß es
tatsächlich Menschen gibt, die richtig viel Geld für das hier
ausgeben würden. Ich würde innerhalb von weniger als vierundzwanzig Stunden vor Langeweile den Verstand verlieren!
Ich kann nur annehmen, das alle Besucher bei ihrer Ankunft
unter starke Drogen gesetzt worden und bis zu ihrer Abreise
nicht wieder zu sich gekommen sind. Und ehrlich gesagt, ich
hätte nichts dagegen, jetzt auch welche zu nehmen. Meine Güte, ist das langweilig!«
»Genießt es, solange Ihr noch könnt«, sagte Giles. »Oder
glaubt Ihr etwa im Ernst, daß wir den ganzen Weg bis zu Harker unbehelligt bleiben werden? Es gibt jede Menge Leute –
oder sollte ich besser sagen: Spielzeuge – auf dieser Welt, die
ein begründetes Interesse daran haben, daß wir nicht so weit
kommen.«
Die Menschen blickten sich wie beiläufig um. Alle Spielzeuge hatten sich in den Hauptsalon zurückgezogen, wo sie miteinander schwatzten. Die Menschen waren allein an Deck. Sie
redeten trotzdem mit gesenkten Stimmen weiter. Man konnte
nie wissen, wer gerade lauschte.
»Selbstverständlich wird es Widerstand geben«, erklärte Julian. Er wirkte blaß, aber halbwegs erholt. »Die Spielsachen sind
noch immer dort draußen und suchen nach Menschen, die sie
töten können. Aber sie werden es nicht leicht mit uns haben.
Wir sind bewaffnet. Eigentlich sollte es uns nicht besonders
schwerfallen, die Angreifer auf Distanz zu halten.«
»So einfach ist das nicht«, widersprach der Erste Todtsteltzer. »Vergeßt diese Geschichte über gute und böse Spielsachen. Wir dürfen niemandem trauen, dem wir auf diesem Planeten begegnen. Die Spielsachen sind eine neue intelligente
Spezies. Wir haben nicht die leiseste Ahnung, welche Motive
sie antreiben. Sie sind keine Menschen. Sie äffen zwar menschliche Emotionen und Verhaltensweisen nach; aber wer kann
schon sagen, ob sie echt sind oder nicht? Wir dürfen ihnen
nicht über den Weg trauen, nicht von Zwölf bis Mittag.«
»Sie versuchen, menschlich zu sein«, sagte Evangeline. »Wir
müssen sie darin bestärken. Uns bietet sich hier die einmalige
Chance, das Gewissen und die Seele einer neuen künstlichen
Intelligenz zu formen. Wir dürfen ihnen nicht den Rücken zuwenden. Wir haben sie schließlich geschaffen. Wir sind für sie
verantwortlich.«
»Nicht wir haben sie geschaffen, sondern Shub«, korrigierte
Tobias. »Wer weiß, welche versteckten Kommandos tief unter
ihrer neu erwachten Identität lauern?«
»Sie durchbrachen Shubs Programmierung«, sagte Flynn.
»Oder wenigstens die guten Spielsachen durchbrachen sie.
Sonst wären wir inzwischen längst alle tot.«
»Also schön, reden wir über Harker«, lenkte Giles ein. »Die
bösen Spielzeuge wollen seinen Tod, weil er ein Mensch ist.
Die guten Spielzeuge wollen ihn tot oder von diesem Planeten
verschwunden sehen, weil sie in ihm eine Gefahr sehen. Und
die Spielzeuge, die Harker um sich geschart hat, werden
höchstwahrscheinlich alles in ihrer Macht Stehende tun, um
uns daran zu hindern. Harker mitzunehmen . Aber was will
Harker? Wird er gegen uns kämpfen, um hierzubleiben, oder
wird er uns helfen, damit er fliehen kann? Was hat er
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