Todtstelzers Krieg
rückte nervös den Hut
zurecht.
»Ist das nicht wieder mal typisch für Euch Menschen? Immer
in Eile! Kann sich ein Mädchen nicht wenigstens ein paar Minuten Zeit nehmen, um sicherzustellen, daß sie gut aussieht?
Bleibt, wo Ihr seid, Ihr Süßen! Ich komme runter zu Euch. Und
faßt ja nichts an! Ich bin gerade erst mit Aufräumen fertig geworden. Ich bin übrigens der Kapitän dieses Schiffs . Vergeßt
das ja nicht!«
Das Gesicht verschwand hinter der Reling, und eine Reihe
laut trippelnder Schritte zeigte an, daß der Kapitän über den
Niedergang zu ihnen kam . Reineke Bär und der Seebock wechselten einen vielsagenden Blick und schüttelten langsam die
Köpfe . Eine Tür flog krachend auf, und der Kapitän der Missis
Merry Truspott eilte heraus und schwankte auf das Geländer
zu. Er war ein Piratenkapitän, in der vollen traditionellen Uniform, alles glänzende Seide und Rüschen an den Manschetten,
und er balancierte unsicher auf zwei Holzbeinen daher. Auf der
linken Schulter kauerte ein abgerissen aussehender Papagei,
der sich verzweifelt an der Kapitänsepaulette festklammerte
und die Menschen aus einem dunklen , bösartigen Auge musterte.
Er hatte nur das eine Auge.
Der Kapitän bekam das Geländer zu fassen und hörte auf zu
schwanken. Stolz reckte er das Kinn vor; dann lüftete er vor
den Menschen den Hut.
»Ahoi, meine Süßen. Willkommen an Bord der Missis Merry
Truspott . Bitte benutzt stets den vollen Namen, oder sie fängt
an zu schmollen und pumpt den Inhalt der Bilge in die Luftschächte, wie schon so oft. Erfreut, Euch alle kennenzulernen.
Ich weiß, daß wir blendend miteinander auskommen und eine
wunderbare Zeit haben werden, solange unser kleines Abenteuer währt. Kommt an Bord, und wir nehmen ein paar klitzekleine Drinkies und Häppchen zu uns, bevor wir losdampfen.
Ich habe Karamelbonbons und Phantasieküchlein gemacht!«
»Arr harr«, sagte der Papagei auf seiner Schulter. »Gebt acht,
gebt acht, der Käpten hat Plätzchen gemacht!«
»Halt die Klappe«, sagte der Kapitän. Er schlug mit einer
schwer beringten Hand nach dem Vogel; doch der Papagei
wich dem Schlag mit der Lässigkeit langjähriger Übung aus.
Der Kapitän funkelte den Papagei an, und der Papagei funkelte
zurück. Dann wandte sich der Kapitän wieder seinen Passagieren zu. »Kommt nur immer her, meine Süßen! Einen guten
Sherry läßt man niemals warten.«
Wie ein Mann wandten sich die Rebellen nach Reineke Bär
und dem Seebock um, die beide unbehaglich mit den Schultern
zuckten.
»Wir hatten überlegt, ob wir Euch nicht besser im voraus
warnen sollten«, sagte der Bär, »aber wir wußten nicht, wie wir
es in die richtigen Worte kleiden sollten. Im Grunde genommen rebelliert er gegen seine ursprüngliche Charakterisierung.
Seit er intelligent wurde, scheut er keine Kosten und Mühen,
sich von seiner Rolle so weit wie möglich zu distanzieren. Ich
schätze, sein neues Ich basiert auf einem Passagier, der die
Aufmerksamkeit des Kapitäns erweckt hatte. Er sagt, er fühlt
sich viel wohler so, wie er jetzt ist.«
Flynn schaute zu Tobias. »Vielleicht habe ich eine verwandte
Seele gefunden!«
»Du wirst ihn in Frieden lassen!« sagte Tobias entschieden.
»Du wirst ihn nur noch mehr verwirren. Das letzte, was diese
Spielsachen brauchen, sind Konflikte wegen ihrer sexuellen
Identität . «
Reineke Bär und der Seebock schauten sich verwundert an.
»Sexuelle Konflikte?« fragte der Bär. »Was ist das?«
Tobias wandte sich abermals wütend an Flynn. »Da siehst du
mal wieder, was du angerichtet hast!«
»Erzählt uns von diesem Papagei!« wechselte Evangeline
rasch das Thema. »Er hat doch sicher nicht immer so ausgesehen, oder doch?«
»Selbstverständlich nicht«, sagte der Bär. »Ich weiß auch gar
nicht, wer ihm diese Sprache beigebracht hat. Obwohl ich gewisse Personen im Verdacht habe.« Er funkelte den Seebock
an, der seinen Blick unschuldig erwiderte.
»Gibt es noch mehr Besatzungsmitglieder?« erkundigte sich
Giles Todtsteltzer. »Oder müssen wir die Kessel selbst befeuern?«
»Außer dem Kapitän nur noch eins«, antwortete der Bär.
»Das Schiff kümmert sich selbst um alles. Jedenfalls zum größten Teil. Halloweenie wird sich um Euch kümmern.«
Die Rebellen hatten kaum genug Zeit, den Namen nachzusprechen und sich zweifelnde Blicke zuzuwerfen; dann ertönte
ein lautes Knochenklappern, und das zweite Besatzungsmitglied betrat die Bildfläche. Es rannte mit beachtlichem
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