Todtstelzers Schicksal
Gegend streiften. Die Mater Mundi hatte
Diana tief in den Untergrund getrieben, wo sie nun entwurzelt
und allein wie alle Stadtstreicher lebte. Weshalb es umso erstaunlicher war, als eine fremde Gedankenstimme mühelos ihre
Abwehrschirme durchbrach und ihr sagte: Falls sie die Wahrheit über die Mater Mundi zu erfahren wünschte, müsse sie ein
bestimmtes Haus der Freuden aufsuchen, und das an einem
bestimmten Tag zu einem bestimmten Zeitpunkt, damit ihr
alles offenbar würde.
Wer bist du?, hatte Diana Vertue gefragt.
Eine weitere frühere Manifestation der Mater Mundi, lautete
die Antwort.
Was sehr interessant war, denn sämtlichen Untersuchungen
Dianas zufolge waren alle früheren Manifestationen Unserer
Mutter Aller Seelen gestorben, ausgebrannt von der Macht, die
so hell in ihnen gebrannt hatte. Aber die Stimme hatte sie gefunden und ihre Schirme durchbrochen, was beides, wie Diana
geschworen hätte, unmöglich war. Also wog sie ihre Möglichkeiten so logisch ab, wie sie vermochte, und beschloss hinzugehen. Zwar musste sie stark damit rechnen, dass es eine Falle
war, aber Diana suchte verzweifelt nach Informationen, die sie
gegen die Mater Mundi einsetzen konnte. Nach etwas, womit
sie die Chancen ausgleichen konnte.
Und hier stand sie jetzt vor der Fronttür zum Haus der Freuden und ertappte sich dabei, wie sie zögerte, beinahe verlegen
war. Unter Haus der Freuden firmierte die größte Bordellkette
des Imperiums, amtlich lizensiert und genehmigt, und warb mit
dem stolzen Motto: »Kein Kunde bleibt unbefriedigt!« In einem Haus der Freuden fand man alles, was das Herz oder sonst
ein Organ begehrte. Einfach alles. In Dianas jungem Leben war
jedoch nicht viel Platz für Sex oder Liebe gewesen. Sie war
direkt von der streng geführten Esper-Akademie auf den inzwischen vernichteten Sternenkreuzer Sturmwind gewechselt, um
dort als Schiffsesper zu dienen. Nach ihrer traumatischen Zeit
auf der Geisterwelt Unseeli desertierte sie aus der Flotte und
widmete ihr Leben der Esper-Bewegung und der Rebellion.
Das führte zu ihrer Gefangenschaft im Esper-Gefängnis Hölle
des Wurmwächters, wo sie das nackte Grauen erlebte und zu
Johana Wahn wurde, als die sie zum ersten Mal Macht und
Herrlichkeit der Mater Mundi manifestierte. Danach war sie
einsamer denn je. Nicht viele fühlten sich angezogen von einer
lebenden Heiligen und einer verrückten obendrein. Und die es
doch taten, waren noch verrückter als sie.
Als die Rebellion endlich vorbei war, nahm Diana Vertue das
eigene Leben wieder in die Hand, nur um festzustellen, dass sie
kein nennenswertes eigenes Leben mehr hatte. Keine Liebhaber, keine Freunde, nur ein paar Kameraden aus der Rebellion,
die sie alle mit zweifelnden Blicken bedachten. Wenn Diana
ehrlich zu sich war – was sie vernünftigerweise so weit wie
möglich mied –, musste sie einräumen, dass sie die Suche nach
den Ursprüngen der Mater Mundi nur begonnen hatte, damit
sie beschäftigt war, damit die leeren Stunden ihres Lebens angefüllt wurden. Nur konnte sie jetzt den Schwanz des Tigers
nicht mehr loslassen.
Und deshalb gab es in Diana Vertues Leben weder Liebe
noch Liebhaber. Und meistens hatte sie es so auch am liebsten.
Einsamkeit war nicht so schlimm, wenn man sich erst mal daran gewöhnt hatte. Und ohnehin war ihr Leben auch so schon
kompliziert genug.
Finster musterte sie die stille, ostentativ normale Tür mit dem
diskreten Zeichen. Dianas Mund war trocken, die Hände
schwitzten, und Schmetterlinge führten in ihrem Bauch ein
Ausscheidungsderby auf. Fast bedauerte sie den Verlust der
Persönlichkeit Johana Wahns. Johana hatte sich vor nichts gefürchtet. Andererseits hatte sie nicht alle Tassen im Schrank
gehabt, weshalb … Diana bemerkte, dass sie den Augenblick
der Entscheidung nur hinauszögerte, und riss sich zusammen.
Sie konnte es schaffen. Sie konnte es einfach. Schließlich war
sie nur hier, um … Informationen zu beschaffen. Sie gab den
ESP-Tarnmantel auf und wurde wieder für alle sichtbar. Sie
sah sich unauffällig um, aber niemand schien ihr Aufmerksamkeit zu schenken. Noch nicht. Sie öffnete die Tür und gab sich
Mühe, das Haus zu betreten, als gehörte es ihr.
Sie war sich nicht ganz sicher, was sie erwartet hatte, aber
die leise, geschmackvoll ausgestattete Empfangshalle vor ihr
hätte irgendeiner beliebigen, erfolgreichen Firma der Stadt gehören können. Die Wände waren kahl, das Mobiliar stilvoll,
aber erfreulich
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