Todtstelzers Schicksal
dafür?«
»Manche tun es, ja. Es hat schon immer Leute gegeben, die
ein bisschen Schmerz zum Vergnügen mochten, oder umgekehrt. Wie es so schön heißt: Nur wer dir wehtut, kann den
Schmerz auch nehmen. Wir haben einen Körperladen nebenan,
der jeden Schaden repariert, falls jemand ein wenig zu … enthusiastisch wird.«
»Warum sollte mein Kontaktmann eine solche Örtlichkeit für
das Treffen wünschen?«
»Wahrscheinlich, weil es der am besten gesicherte und der
privateste Teil des Hauses ist. Kann ich jetzt bitte gehen? Ich
würde wirklich gern die Hose wechseln, ehe der Fleck eintrocknet.«
Ja, sagte eine sanfte, weittragende Stimme. Du kannst gehen.
Ich rufe dich, wenn ich dich wieder brauche.
Diana und der falsche Owen blickten sich scharf um. Die
Stimme schien von überall gleichzeitig gekommen zu sein. Sie
hatte unangenehm geklungen, düster wie der Tod, weich wie
Fäulnis, widerlich wie etwas Lebendiges, das von einem stählernen Stiefel zertreten worden war. Diana spürte ihr Herz
klopfen. Als sie zuletzt eine solche Stimme gehört hatte, war
sie Gefangene in Silo Neun gewesen, und der Wurmwächter
hatte Gedankenspiele in ihrem Kopf angestellt. Sie hatte plötzlich nicht übel Lust, die Beine in die Hand zu nehmen, aber
noch während ihr dieser Gedanke durch den Kopf ging, hörte
sie die Tür hinter sich aufgehen und wieder zuknallen, als der
falsche Owen das Hasenpanier ergriff. Diana zwang Gedanken
und Gefühle wieder unter Kontrolle und gestattete einigen kälteren Aspekten der Johana-Wahn-Persönlichkeit, an die Oberfläche zu treten. Dies war nicht der richtige Ort, um Schwäche
zu zeigen.
»Wer bist du? Wo bist du?«
Genau hier, antwortete die Stimme, und die Worte hatten eine Wirkung wie Eisennägel, die in weiches Fleisch gehauen
wurden. Verzeih mein Widerstreben, mich zu zeigen, aber es ist
heutzutage so schwierig zu wissen, wem man trauen kann. Jeder kann Agent der Mater Mundi sein; jeder kann ein verkleideter Meuchelmörder sein.
»Das Gleiche habe ich erfahren«, sagte Diana. »In Ordnung;
versuchen wir es mal mit: Wieso um alles in der Welt treffen
wir uns hier?«
Weil es das beste Versteck ist. Öffne nur ein klein wenig dein
Denken, Diana, und tauche mit dem Zeh in die Leidenschaften,
die hier gedeihen.
»Ach verdammt«, entgegnete Diana, ohne zu zögern. »Meine
Abwehrschirme sind aufgerichtet, und das bleiben sie auch.
Dies ist ein gefährlicher Ort. Viel zu viele Gefühle quellen hier
an allen Seiten. Ein Esper könnte an einem solchen Ort förmlich ertrinken.«
Sehr klug, meine Liebe! Leidenschaften haben freie Bahn,
hier, wo die Realität zugunsten persönlicher Fantasien verworfen wird. In einem Haus der Freuden ist alles erlaubt, solange
man nicht erwartet, es wäre real. Liebe oder Sex oder sinnvolle
Faksimiles davon sind für jeden verfügbar, der das Geld hat.
Die wildesten Gefühle sind hier alltäglich, und Leidenschaften
steigen und fallen mit der Regelmäßigkeit von Gezeiten. Ein
perfektes Versteck für Leute wie dich und mich. Für das, was
aus uns geworden ist. Nicht einmal die Mater Mundi vermag
den Mahlstrom echter und vorgetäuschter Emotionen zu
durchdringen, die den Brennstoff bilden für die Tagesgeschäfte
eines Hauses der Freuden. Und hier unten, wo die dunkelsten
Aspekte des menschlichen Herzens freigesetzt und genossen
werden, kann sich ein vorsichtiges und umsichtiges Bewusstsein endlos versteckt halten. Ich lebe schon lange hier, vielleicht seit Jahrzehnten, vielleicht seit Jahrhunderten, das ist
schwer zu sagen. Versteckt im Zentrum des Wirbelsturms, von
der Welt vergessen.
»Warum hast du Verbindung mit mir aufgenommen?«, fragte
Diana. »Warum hast du mich hierher geholt?«
Weil ich Angst habe, antwortete die sanfte, schreckliche
Stimme. Du stöberst seit einiger Zeit Dinge auf, die besser
unangetastet blieben, weckst Dinge, die in den dunklen vergessenen Kellern der Menschheitsgeschichte geschlummert haben.
Ich kenne die Wahrheit über die Mater Mundi – ein Geheimnis,
das mir solche Angst einjagt, dass ich mich entschieden habe,
lieber hier zu hausen wie eine Ratte in ihrem Loch, als den
Zorn Unserer Mutter Aller Seelen zu riskieren. Du hast ja keine Vorstellung von dem, was du herausforderst.
»Dann sag es mir. Und zeige dich. Ich bin nicht den ganzen
Weg gekommen, um dann einer Stimme in meinem Kopf zu
lauschen. Du brauchst keine Angst vor mir zu haben.«
Oh, aber ich habe sie, ich habe sie! Du
Weitere Kostenlose Bücher