Töchter auf Zeit
beschäftigen. Ich machte einen kurzen Zwischenstopp im Drive-Through von Starbucks, bestellte einen Karamell Latte und ein Stück Kaffeekuchen und machte mich dann weiter auf den Weg zum Haus meines Vaters. Ich bremste ab, bis der Wagen vor dem Park zum Stehen kam, und blinzelte durch die Windschutzscheibe. Ich sah Licht im Haus, konnte aber nur verschwommen seine Gestalt erkennen, wie er hin und her lief. Beim nächsten Mal würde ich ein Fernglas mitbringen. Wieder spähte ich durch die Scheibe. Was machte er? Räumte er den Tisch ab? Was aß ein alleinstehender Mann zum Abendessen? Eine Tiefkühlpizza? Ein Steak, das er in der Pfanne gebraten hatte? Vielleicht besaß er mehr kulinarische Fähigkeiten, als ich ihm zutraute. Vielleicht würde ich ihm ja eines Tages einen Riesentopf mit Chili con Carne zubereiten und ihm ein Blech voll Maisbrötchen backen. Dann hätte er die ganze Woche genug zu essen. Das würde ihm bestimmt schmecken, oder? Hausmannskost …
Ich starrte die Fassade an, als stünde dort die Antwort auf all meine Fragen. Weshalb musste meine Mutter so jung sterben? Sie hätte alles getan, um mitzuerleben, wie wir langsam groß wurden. Weshalb lebte mein Vater, verließ uns aber, als wir ihn am dringendsten brauchten? Wo war meine Familie, als ich dieses Riesenloch in meinem Herzen stopfen musste?
Wenn du dir so sehnlich eine eigene Familie wünschst
, wisperte mir dieser widerliche kleine Mann in meinem Kopf mit seiner piepsigen Stimme zu,
dann tu was dafür.
Am nächsten Tag kramte ich die Adoptionspapiere aus der untersten Schublade meiner Kommode, blätterte durch die Broschüre und sah mir den Ausdruck in den Augen der kleinen Mädchen an, die alle eine Mutter brauchten.
Ich verstehe euch
, wollte ich ihnen sagen.
Ich wurde auch im Stich gelassen. Ich habe auch ein Loch in meinem Herzen
.
Mit jeder Seite, die ich ausfüllte, kam so etwas wie Ungeduld in mir auf. Ich wollte nicht mehr lange warten, weil ich mir langsam sicher war, dass es klappen würde. Doch immer wenn ich merkte, dass meine Hoffnungen überhand nahmen, pfiff ich mich zurück.
Noch nicht,
schien mir mein Herz sagen zu wollen, als ob es wüsste, dass es besser für mich war, erst mal auf Distanz zu gehen. Der Papierberg wurde höher und höher. Schon bald war er so hoch, dass ich alles in eine Schachtel packte. Da stand sie nun, der Beweis schlechthin, dass alles in Richtung Adoption wies. Trotzdem gibt es keine Garantie, dachte ich skeptisch. Ich wollte mein Herz erst dann öffnen, wenn ich meine Tochter fest in meine Arme schließen konnte. Vielleicht würde das ja auch nie so weit kommen.
Trotzdem fühlte ich mit jedem ausgefüllten Formular, wie sich mein Körper entspannte, meine Schultern leicht nach unten sanken und meine Wunden allmählich zu heilen begannen. Manchmal, wenn ich abends meine Augen schloss, hatte ich das Bild einer kostbaren Porzellanpuppe mit pechschwarzem Haar vor meinem inneren Auge. Ich sah ihren rosigen Mund und ihre mandelförmigen Augen. Ich konnte sie sehen, wie sie ein paar Jahre später etwa so alt war wie Maura und wie sie mir erzählte, was sie den ganzen Tag gemacht hatte.
Wir haben gemalt, Mom! Mit unseren Fingern!
Der Papierkram nahm kein Ende. Wir benötigten Kopien unserer Einkommensteuererklärungen, Gehaltsabrechnungen, Sparbücher, wir brauchten ärztliche Atteste, polizeiliche Führungszeugnisse, ja sogar unsere Fingerabdrücke. Wir ließen unsvon unseren Freunden Empfehlungsschreiben ausstellen, schrieben ellenlange Begründungen, weshalb wir ein Kind adoptieren wollen, und schworen, dass wir in der Lage waren, ein Kind zu ernähren, zu kleiden, für seine Ausbildung zu sorgen und es natürlich nicht zu misshandeln. Jedes Formular musste extra unterschrieben und von einem Notar beglaubigt werden. Dann fehlten noch der Nachweis, dass der Notar auch wirklich ein Notar war, und eine Apostille. Unfähige Eltern setzten ein Kind nach dem anderen in die Welt, und wir wurden auf Herz und Nieren geprüft, weil wir ein Baby adoptieren wollten, das keiner haben mochte. Das entbehrte nicht einer gehörigen Portion Ironie.
Eines Tages, ich war gerade dabei, die Post aus dem Briefkasten zu nehmen, sah ich meine Nachbarin Kathy, die ebenfalls nach der Post sah. Wir kamen ins Reden, und sie kam ohne Umschweife auf persönliche Dinge zu sprechen. Ob sich etwas Neues mit meinem »Fruchtbarkeitsproblem« ergeben hätte, wollte sie wissen. Und ehe ich mich recht versah, hatte ich ihr auch schon
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