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Töchter auf Zeit

Töchter auf Zeit

Titel: Töchter auf Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Handford
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über den Baby-Darwinismus nicht hören, wollte nicht erfahren, dass meine Tochter den Kampf in dieser Ellbogengesellschaft, in der nur die Stärksten überleben, bereits vor ihrer Geburt verloren hatte. Es wäre bestimmt ein Mädchen geworden. Natürlich war es noch zu früh gewesen, um das mit Sicherheit sagen zu können, aber ich wusste es einfach.
    Ich wollte meine Mutter um mich haben. Meine Mutter würde mich nämlich weinen lassen, bis meine Wasservorräte restlos ausgetrocknet waren, meine Mutter würde nicht versuchen, mir die biologischen Aspekte einer Fehlgeburt rational klarzumachen. Der Glaube meiner Mutter war so stark, dass lediglich ein Tropfen davon genügt hätte, mir den meinen mühelos zurückzugeben. Ich konnte förmlich hören, wie sie mir ins Ohr flüsterte, dass mein Baby nun gut behütet in den Armen von Engeln war, dass es dort groß und stark werden würde und dass ich mein Mädchen eines Tages wiedersehen würde.
    Zwei Wochen später verkündete ich Tim, zu welchem Entschluss ich gekommen war: »Das war’s. Keine Kinder. In ein paar Wochen fange ich wieder im Restaurant an. Lass uns verreisen. Und saufen, was das Zeug hält. Und Austern essen.«
    Tim sah mich mitleidsvoll an. Er hatte diesen Ausdruck im Gesicht, der mir klarmachte, dass er mir nicht ein einziges Wort abnahm.
    »Helen«, sagte er sanft, »du warst so kurz davor, in Sachen Adoption mit an Bord zu kommen. Du hast Sasha kennengelernt, du hast zig Bücher darüber gelesen. Du hast doch selbst gesagt, dass du dir das auch für uns vorstellen könntest.«
    »Und was ist, wenn wir alle Anträge ausfüllen, alles tun, was sie von uns verlangen, und am Ende kriegen wir doch kein Baby?«, erwiderte ich mit zitternder Stimme. »Wäre das dann besser als die Hölle, die wir soeben durchgemacht haben?«
    Und wieder verbrachte ich eine Woche im Bett. Ich wartete darauf, dass mein Herz zu bluten aufhörte und sich Schorf bildete. Wartete ab, bis ich mich an die grausame Wahrheit gewöhnt hatte: Es war mir nicht bestimmt, Mutter zu werden. Es war an der Zeit, dass ich mich dieser Tatsache stellte.
    Ich will wieder arbeiten
, dachte ich. Ich will etwas tun, was ich auch kann.
    Am Morgen meines ersten Arbeitstages, nach ewig langer Zeit, hatte Tim bereits vor mir das Haus verlassen. Ich hatte ihm noch hinterhergerufen, dass wir uns später im Restaurant sehen würden. Als ich nach unten ging, um mir einen Kaffee zu holen, fand ich einen Zettel, auf dem stand:
Ich liebe Dich. Lass uns den Antrag ausfüllen – bald. Je eher wir das hinter uns gebracht haben, umso eher haben wir ein Baby. Bis gleich, Tim.
    Der Stapel mit den Anträgen lag in der Ecke. Ich goss mir Kaffee ein, starrte aus dem Fenster und zerknüllte dann Seite für Seite. Und als Zugabe zündete ich die Papierknäuel in unserer Edelstahlspüle an.
    Ich ging jeden Tag zur Arbeit. Irgendwie war ich wie in Wolken gehüllt, doch mir gelang es trotzdem, den Tag zu überstehen, obwohl ich am Abend nicht mehr hätte sagen können, was ich den lieben langen Tag gemacht hatte. Ich funktionierte einfach. Ich fuhr in unser Restaurant Harvest, konnte mich aber danach nicht erinnern, wie ich dort hingekommen war. Ich aß, schmeckte aber nichts. Ich unterhielt mich mit Sondra, unserer Kellnerin, und den anderen Servicekräften, wusste aber anschließend nicht mehr, worüber wir geredet hatten.
    An meinem Arbeitsplatz fühlte ich mich geborgen und sicher. Meine Schürze schützte mich nicht nur vor Flecken, sondern auch vor meinen Gefühlen. Immer wenn ich Teig knetete, ging es mir gut. Jeden Morgen sah ich die Vorräte durch, plante meine Rezepte und rechnete aus, was wir für den jeweiligen Abend alles brauchen würden. Und dann fing ich an: Inmitten meiner irrealen Wolke aus Trauer buk ich, was das Zeug hielt. Außerdem machte ich all die Arbeit, die keiner sah: Ich bereitete Sachen vor, ließ den Teig in Ruhe hochgehen und knetete ihn dann erneut sorgfältig durch. Ich buk Biskuits, Brot, Plätzchen und Pies, bis die Regale damit vollstanden. Ich musste sehen, wie aus Mehl, Hefe, Salz und Wasser etwas ganz Neues entstand. Ich musstesehen, wie die zusammengerührten Zutaten unter dem Einfluss von Hitze zu etwas Nahrhaftem verschmolzen, zu etwas, was Körper und Seele gleichermaßen befriedigte.
    An den meisten Tagen fuhr ich allein nach Hause, weil Tim später anfing und entsprechend länger blieb. Doch eines Abends fuhren wir gemeinsam heim. Tim gönnte sich einen frühen Feierabend.

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