Töchter auf Zeit
Spezialitäten voll. Wir besuchten die mit weißem Stuck ausgekleideten orthodoxen Kirchen, kauften Naturschwämme und andere Mitbringsel, die wir entdeckt hatten, als wir die gepflasterten Straßen rund um den Marktplatz entlangschlenderten.
Am Abend vor unserer Abreise saßen wir auf der Veranda unserer Villa, blickten auf das azurblaue Ägäische Meer zu unseren Füßen und tranken gekühlten Weißwein. Tim griff in seine Hemdtasche und zog ein kleines Seidensäckchen heraus. Als ich die Schleife öffnete, kniete er sich vor mir hin.
»Du meine Güte«, schnappte ich nach Luft, als ich den glitzernden Silberring sah.
»Ich liebe dich«, sagte Tim und Tränen standen in seinen Augen.
»Ich liebe dich auch.«
»Willst du meine Frau werden?«
»Ich würde sterben, wenn nicht!«
Wie romantisch
, dachte ich jetzt. Ich würde sterben, wenn nicht! Und genau so war unser Leben geblieben, ein romantisches Abenteuer jagte das nächste, eine Reise folgte der anderen. Uns bedrückte nicht die kleinste Sorge.
Exakt sechzehn Tage später zeigte der Schwangerschaftstest zwei pinkfarbene Linien – zum ersten Mal in meinem Leben. Da ich auf Nummer sicher gehen wollte, wiederholte ich den Test noch zwei Mal. Zehn Minuten später starrte ich auf drei Mal zwei pinkfarbene Linien, ein Pluszeichen und auf einem war sogar »schwanger« zu lesen.
Ich war sprachlos und hatte das Gefühl, als würde sich alles ändern, wenn auch nur ein Wort über meine Lippen käme oder ich auch nur einen Muskel regte. Obwohl ich mich nur hin und wieder auf meinen katholischen Glauben besann – ich war nicht im Ansatz so gläubig, wie Claire es war und meine es Mutter gewesen war –, ließ ich mich auf die Knie sinken und dankte Gott. Mit einem Mal hatte ich das Gefühl, als wäre der göttliche Plan aufgegangen. Und dann fing ich an zu schluchzen, ganze Bäche rannen mir die Wangen hinunter – doch diesmal waren es Freudentränen. »Danke, danke«, brachte ich zwischen all den Schluchzern hervor. »Ich verspreche, die beste Mutter aller Zeiten zu werden!«
Als ich mich wieder etwas gefangen und den Stapel mit den Adoptionspapieren in der untersten Schublade verstaut hatte, durchfuhr mich plötzlich eine Welle von Scham. Ich drehte die Broschüre um, damit mich nicht länger die Fotos der kleinen Mädchen anstarrten. Es tut mir leid, flüsterte ich, schüttelte das unangenehme Gefühl ab und ging in die Küche, um mir ein paar Vitamine, ein großes Glas Milch und einige Scheiben Käse zu holen.
Zwei Monate später, der Reißverschluss meiner Jeans ließ sich bereits immer schwerer zuziehen, war ich gerade zur Toilette, als ich sah, dass ich einen großen Klumpen Blut verloren hatte. Eine Ultraschalluntersuchung bestätigte meinen Verdacht, dass ich mein Kind nicht zur Welt bringen würde. Am Tag darauf musste ich eine Ausschabung vornehmen lassen.
Ich vergrub mich eine ganze Woche im Schlafzimmer. Die Ultraschallaufnahme meiner kleinen Bohne lag neben mir auf dem Kopfkissen.
Ein Baby kommt
lag auf meinem Nachtkästchen, voll gespickt mit Post-it-Merkzetteln.
Tim stand meinem Schmerz und Leid hilflos gegenüber. In meiner Trauer und meinem Egoismus kam es mir nicht ein einziges Mal in den Sinn, dass auch er litt. Claire kam jeden Tag vorbei und versuchte, mir auf die ihr eigene Weise zu helfen, aber ich war dermaßen mit den Nerven herunter, dass ich es als aufdringlich empfand. Sie räumte den Tee ab, den ich noch nicht ausgetrunken hatte, schüttelte meine Kissen auf, obwohl ich es lieber hatte, wenn sie flach und durchgelegen waren, und wollte die Laken wechseln, während ich noch im Bett lag. Sie meinte es nur gut, klar, aber … sie drängte mich, einen Schritt nach dem anderen zu machen – und das war mir zu viel. Das war ihre Art zu trauern, wie ich nur allzu gut wusste. Sie hatte sich ja auch mit Moms Tod kaum auseinandergesetzt und sich stattdessen eifrig zu schaffen gemacht. Claires beängstigende Gefasstheit, ihr eiserner Wille und ihre perfektionistische Art waren mehr, als ich ertragen konnte. Alles, was sie sagte, um mich zu trösten, kam bei mir ganz anders an.
»Fehlgeburten sind ein gut getarnter Segen«, sagte Claire zum Beispiel. »Damit beendet Mutter Natur Schwangerschaften, bei denen nichts Gescheites rausgekommen wäre.«
Bei den Worten »beendet« und »nichts Gescheites« hätte ich ihr am liebsten mit der Faust ins Gesicht geschlagen – sie sprach immerhin von meinem Kind. Ich wollte ihren Vortrag
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