Töchter auf Zeit
erzählt, dass wir ein Kind adoptieren wollten.
»Merk dir meine Worte!«, meinte sie mit wissender Stimme und deutete mit dem Finger auf mich. »Du wirst sehen, sobald ihr euer Adoptivkind in den Armen haltet, wirst du schwanger. Wetten? Das passiert andauernd!«
Ich nickte und konnte mich gerade noch zurückhalten, eine Diskussion darüber anzuzetteln, dass es Tausende von adoptionswilligen Eltern gab, die alles darum geben würden, wenn sie mit dieser Theorie recht hätte. Aber so einfach war es eben nicht. Unfruchtbar war unfruchtbar, so einfach war das.
Als ich wieder im Haus zurück war, saß ich mit einer Tasse Tee am Tisch und dachte über Kathys Standpunkt nach. Vielleicht, dachte ich, lagen Kathy und ihr Heer an aufdringlichen Wichtigtuern, die jedem ungefragt ihre Meinung aufdrängten, ja doch richtig. »Du wirst sehen«, hörte ich sie Tausende vonMalen glucksen. »Dein Körper entspannt sich, und zack! bist du schwanger«, hörte ich sie sagen und dabei mit weit geöffnetem Mund lachen, als ob diese Art von Ironie das Witzigste auf der Welt wäre. Wie gern hätte ich all diesen Frauen, die problemlos ein Kind nach dem anderen in die Welt setzten, die Faust mitten in diesen geöffneten Mund gedonnert.
Es gab zwar keinen wissenschaftlichen Beweis für Kathys Behauptung, aber ich wusste, dass genau das des Öfteren schon passiert war.
Tim war ein Stein vom Herzen gefallen, weil ich mich letztlich doch zu einer Adoption durchgerungen hatte und wir auch das letzte Formular bei der Agentur eingereicht hatten. Und anscheinend war ich an einen Punkt gekommen, an dem ich hinter unseren Plänen stand. Immer wenn wir Sex hatten, weil ich nun doppelgleisig fahren wollte, hatte ich anschließend ein schlechtes Gewissen, als ob ich die chinesische Waise betrügen würde, die ich zwar noch nie in meinem Leben gesehen hatte, für die ich aber allmählich Gefühle entwickelte. Ich war immer noch hinund hergerissen. Ich warb um zwei Liebhaber und natürlich nagten Gewissensbisse an mir. Ich wünschte mir nichts sehnlicher als ein Baby aus China, aber noch immer keimte in mir die Hoffnung, dass es mir mit einer allerletzten Kraftanstrengung oder einem geheimen Plan gelingen würde, mein Schicksal herauszufordern, mein Karma zu überlisten und meinen Körper auszutricksen. Ich hütete diesen Plan wie einen Schatz und behielt ihn für mich ganz allein. Ich würde erst dann darüber reden, wenn ich wieder schwanger wäre.
Siehst du!,
würde ich sagen.
Ich habe es dir gesagt, würde ich dann voll Stolz sagen, so leicht gebe ich nicht auf!
Im September hatten wir ein Gespräch mit der für uns zuständigen Sozialarbeiterin, Dr. Eleanor Reese.
»Nennt mich Elle«, bat sie uns gleich an der Haustür und fuhr sich durch ihre rotbraune Mähne. Wir führten sie ins Wohnzimmer und boten ihr einen Kaffee an. Sie nahm in demPolstersessel vor dem Kamin Platz. Sie hatte grüne Katzenaugen und war üppig gebaut – mit ausladenden Hüften und einem mächtigen Hängebusen. Sie war in ein fließendes Gewand in leuchtenden Farben gehüllt, trug Schuhe mit etwa zehn Zentimeter hohen Absätzen und grob geschätzt ein Pfund Schmuck. Sie wirkte, wie aus einem Modekatalog entsprungen. Sie sprühte vor Leben, während ich selbst mit meinen khakifarbenen Hosen und dem blauen Sweatshirt der Marke Graue Maus einen gänzlich anderen Eindruck vermittelte. Wir hätten nicht unterschiedlicher sein können.
Ich spürte, wie ich mich schon jetzt aus der ganzen Sache rauswinden wollte. Wann immer sie mir in die Augen sah, durchfuhr es mich heiß und kalt. Was, wenn sie mit ihrem siebten Sinn herausfand, dass ich zwar ein Kind adoptieren, andererseits aber noch immer ein eigenes Kind produzieren wollte?
»Schön, dass wir uns persönlich kennenlernen«, sagte Elle und fuchtelte mit ihrem Arm in der Luft herum, sodass ihre Armreife leise klirrten. »Ich fand Sie schon am Telefon sehr sympathisch.«
Ich hatte ihr bereits am Telefon von Tim und mir berichtet und von unserem Herzenswunsch, ein Kind zu adoptieren.
»Erzählen Sie mir doch noch mehr von sich. Wie lange sind Sie denn schon verheiratet?«
»Sieben Jahre.«
»Und wie haben Sie sich kennengelernt?«
Ich erzählte ihr, wie wir uns in der Kochschule in Frankreich zum ersten Mal gesehen hatten – zwei Jugendliche aus Virginia, die sich in Frankreich Hals über Kopf ineinander verlieben.
»Eine echt romantische Liebesgeschichte«, meinte Elle und rutschte auf dem Sessel herum, und
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