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Töchter auf Zeit

Töchter auf Zeit

Titel: Töchter auf Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Handford
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Ichdagegen war mir da nicht so sicher – und dieser Überzeugung entsprang weder Pessimismus noch Zynismus, sondern Pragmatismus. Die meisten Menschen hatten die eine oder andere Verletzung erlitten, und bei vielen von ihnen wurde dadurch ihr Glaube – an die Menschheit und etwas Göttliches oder Spirituelles – infrage gestellt. Doch bei Tim, der von einer Privatschule und seinen liebevollen Eltern geprägt worden und in einem intakten Umfeld groß geworden war, hatte nichts diesen Glauben erschüttern können.
    Ich erinnerte mich noch gut an einen Abend Ende August. Tim und ich hatten uns nach unserer Rückkehr von unserem gemeinsamen Urlaub getroffen und saßen am Pool von Tims Eltern, unsere Füße baumelten in dem erfrischenden Nass. Die Flasche Riesling zwischen uns hatten wir schon geleert.
    »Was ist das Schlimmste, was dir je passiert ist?«, wollte ich von ihm wissen. Obwohl wir mittlerweile schon vier Jahre zusammen waren, entdeckten wir uns in unserer Heimat neu.
    Tim dachte kurz nach und schaute in den Himmel, an dem ein paar Wolken zu sehen waren. Ich dachte schon, er wollte mir von seinen positiven Erfahrungen erzählen. Doch dann meinte er: »Na ja, ich hab mal in diese Aktien investiert und schon am Tag darauf war der Aktienkurs ins Unendliche gefallen …«
    »Nein!«, protestierte ich und boxte ihn auf den Arm. »Ich rede nicht vom Geschäft. Was war das Schlimmste, was
dir
jemals passiert ist?« Ich überlegte noch, ob ich ihm mögliche Antworten vorgeben und ihm Hilfestellung geben sollte. Hat dich eine deiner Freundinnen enttäuscht? Ist dein Vater abgehauen? Ist ein Verwandter gestorben? Hat man dir nie dein Herz gebrochen? Wurde dir noch nie der Boden unter den Füßen weggerissen? Ist deine heile Welt noch nie zusammengestürzt? Kennst du nicht mal das Gefühl unendlicher Einsamkeit?
    »Nichts von alledem«, meinte er mit einem Schulterzucken und rieb meinen Oberschenkel auf eine Weise, die mirklarmachte, dass er nur zu gut wusste, dass ich in den ersten siebenundzwanzig Jahren meines Lebens nicht auf der Sonnenseite gestanden hatte.
    Ich war sprachlos, aber auch begeistert von der Unbekümmertheit meines neuen Freundes. Zugegeben, neben diesem makellosen Tim fühlte ich mich mitunter ganz kaputt und
ausgebrannt
, aber ich wollte trotzdem nirgendwo anders sein. Ich hatte meinen Platz in einer Familie gefunden, für die Chaos, Schmerz und Leid unbekannte Größen waren. Vielleicht würde das ja meine belastete Vergangenheit irgendwie wegwaschen.
    Tim kam um Mitternacht nach Hause. Ich war noch hellwach und freute mich, ihn zu sehen. Er begrüßte mich mit einem Kuss und verschwand dann im Badezimmer, um zu duschen.
    Ich stellte mich auf einen Hocker und spähte in die Dusche. Der heiße Dampf benetzte meine Gesicht. »Wie lief es heute Abend?«, fragte ich Tim.
    »Es war ganz schön was los – über zweihundert Essen gingen raus«, sagte Tim und schrubbte sich mit einem Naturschwamm ab.
    Tims Rücken war von der heißen Dusche knallrot. Er seifte sich erst unter den Achseln, dann den Rücken ein. Früher war es eine Art Ritual zwischen uns gewesen – dass ich Tim vollgeblubbert hatte, während er nach der Arbeit unter der Dusche stand. Ich musste lächeln, weil ich das vertraute Gefühl so genoss.
    »Das Kalb ist uns ausgegangen«, sagte Tim. »Ich hätte nicht gedacht, dass es so oft bestellt wird.«
    »Hast du stattdessen Schweinefleisch genommen oder hast du das Gericht von der Speisekarte genommen?«
    »Ich hab Schwein genommen, hat schon gepasst.«
    »Was gab’s sonst noch? Schmutzige Gerüchte über Sondra oder Philippe?«
    Sondra war unsere Topbedienung, eine fünfundzwanzigjährige, atemberaubende Schönheit mit hohen, ausgeprägten Wangenknochen und vollen, rubinroten Lippen. Wir hatten sie kurz nach der Eröffnung des Harvest eingestellt, sie kam gerade frisch von der Hotelfachschule. In nur wenigen Jahren hatte sie sich in eine wunderschöne junge Frau gewandelt, die ein unerschütterliches Selbstvertrauen ausstrahlte.
    »Das ist dein Metier«, sagte Tim. »Du redest öfter privat mit Sondra als ich.«
    »Sie hat mir erst kürzlich erzählt, dass sie mit ihrem Freund Schluss gemacht hat. Ich habe ihr empfohlen, sich doch mal jemanden in ihrem Alter zu suchen.«
    »Tja, sie steht nun mal auf die Kerle mit den dicken Geldbörsen.«
    »Was gibt’s Neues von Philippe?«
    »Nicht viel. Er lernt jeden Tag etwas Neues. In ein paar Jahren kann er den Laden allein

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