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Töchter auf Zeit

Töchter auf Zeit

Titel: Töchter auf Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Handford
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schmeißen.«
    »Das hast du vor ein paar Jahren auch schon gesagt«, erinnerte ich ihn.
    »Und wie war dein Tag? Hast du Neuigkeiten für mich?«
    »Na ja«, sagte ich mit einem breiten Grinsen im Gesicht. »Ich war einkaufen. Ich hab alles Mögliche für unsere Reise besorgt. Wir und das Baby sind bestens gewappnet gegen Verstopfung, Durchfall, Insektenstiche, Sonnenbrand, Erkältung oder Grippe. Eigentlich kann uns nichts passieren.«
    »Toll!«
    »Außerdem habe ich noch Geldgürtel, Schutzhüllen für den Reisepass und Kissen für das Flugzeug gekauft.«
    »Merkwürdig, dass wir es früher auch ohne das ganze Zeug um die halbe Welt geschafft haben«, grinste Tim mich an.
    »Ja, schon, aber da waren wir erst Anfang zwanzig. Jetzt sind wir bald Eltern. Wir müssen auf alles vorbereitet sein. Schluss mit den Sponti-Aktionen.«
    »Hört, hört.«
    »Ich bin schon ganz aufgeregt und freu mich wie verrückt. Außerdem habe ich heute Abend mit deinen Eltern telefoniert. Sie wollen kommen und uns helfen, sobald wir wieder von China zurück sind.«
    Ich tat mich leichter, mit Tim zu reden, wenn er unter der Dusche stand. Irgendwie löste die Glaswand die Spannung zwischen uns auf. Vielleicht weil die Duschkabine an einen Beichtstuhl erinnerte? Ich war das letzte Mal etwa einen Monat, bevor Mom gestorben war, bei der Beichte gewesen. Damals hatte ich gehofft, dass es Glück bringen würde, wenn ich meine Sünden beichtete. Doch Mom starb kurz darauf – als überzeugte Katholikin, während ich meinen Glauben abstreifte wie eine Schlangenhaut.
    »Das ist ja wunderbar, Helen«, sagte Tim.
    »Da war noch was«, entgegnete ich und verspürte plötzlich einen dicken Kloß im Hals. Angestrengt schaute ich durch den Wasserdampf hindurch zu Tim. »Ich habe meinen Vater besucht. Larry. Ich bin einfach zu seinem Haus gefahren und dann haben wir geredet.«
    Tim war einen Moment lang ruhig und wischte sich dann das Wasser vom Gesicht. »Weshalb hast du das gemacht?«
    »Weil er mein Vater ist«, war die einzige Antwort, die mir auf die Schnelle einfiel.
    »Und …?«
    »Na ja, als wir uns für die Adoption bewarben, wollte Elle alles Mögliche über ihn wissen, und ich hatte keine Ahnung, was ich sagen könnte. Hast du mitbekommen, was sie in ihrem Abschlussbericht darüber geschrieben hat? ›Keine Bindung zum Vater vorhanden.‹«
    Tim drehte das Wasser ab, griff nach einem Handtuch und überlegte noch, was er sagen könnte, als ich ihm zuvorkam: »Ichmöchte, dass wir uns wieder näherkommen. Vor allem, wenn wir ein Baby bekommen.«
    »Vor allem, weil wir ein Baby bekommen«, verbesserte mich Tim augenblicklich.
    »Ich denke, er verdient eine zweite Chance. Tut das nicht jeder?«
    »Helen, ich finde das gut. Ich will ja auch, dass du dich mit deinem Vater versöhnst. Was wird Claire wohl dazu sagen?«
    »Dass ich verrückt bin. Wir beide haben völlig unterschiedliche Erinnerungen an Larry. Ich war ja um einiges jünger als sie damals. Ich habe nicht alles mitbekommen. Und sie musste die Erwachsenenrolle übernehmen. Mom hat ihr alles anvertraut, und ich bin sicher, dass das ihre Gefühle für Dad zerstört hat. Schließlich hat sie aus erster Hand erfahren, was Mom mitgemacht hat wegen ihm. Egal, was sie sagt, sie kann im Grunde nichts dafür. Ich erinnere mich nur an die guten alten Zeiten. Richtig oder falsch, ich war gern mit meinem Dad zusammen.«
    Zwischen Claire und mir liegen sechs Jahre, und genau aus diesem Grund hat uns unsere Mom völlig unterschiedlich behandelt. Bei Claire schüttete sie ihr Herz aus und verließ sich auf sie, als wären sie Busenfreundinnen. Claire hat mir einmal erzählt, dass Mom sie nur wenige Tage vor ihrem Tod um Verzeihung gebeten hatte. Sie hätte schon gewusst, dass es nicht richtig sei, ihre Sorgen der eigenen Tochter aufzubürden, aber Claire hätte ihr das Gefühl vermittelt, sie könnte diese Last ohne Weiteres tragen.
    Mom hat also Claire behandelt, als wäre sie viel älter, als sie es damals war, während sie mich wie ein kleines Kind behandelte, was ich aber nicht mehr war. Ich war immer noch ihr Baby, die Tochter, die zum Knuddeln da war, das Glückskind aus alten Tagen, als ihr Ehemann und bester Freund sie noch nicht betrogen hatte. Doch ich verkraftete es nicht, als Mom krank wurde, und weil ich niemandem die Schuld daran gebenkonnte, schrieb ich ihr die Schuld zu. Was sie gebraucht hätte, wäre ein braves und niedliches kleines Mädchen gewesen, aber ich war patzig,

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