Töchter auf Zeit
überhaupt einen Vater?« Er lachte, als ob ihn die Frage amüsieren würde.
Für verdammt viel
, lag mir auf der Zunge. Hätte ich in den Jahren nach Moms Tod einen Vater gehabt, mit dem ich hätte reden können, wären viele meiner Entscheidungen anders ausgefallen. Ich fühlte mich von Jungs, später von Männern angezogen, die mir mit Sicherheit wehtun würden. Das Gefühl kannte ich ja bereits. Diese Typen waren einfach zu durchschauen. Wahre Liebe, hatte ich mir wieder und wieder vorgebetet, heißt, sich öffnen und sich einem anderen Menschen voll und ganz hinzugeben. Doch dieses Unterfangen war mir viel zu riskant vorgekommen; und ein Scheitern auf der ganzen Linie war ebenso unstrittig wie die Tatsache, dass Mom tot war. Liebe tut weh; zu diesem Schluss kommen Mädchen, wenn ihr Vater sie verlässt. Und dieser Schmerz war keine einmalige Angelegenheit, es war eher etwas C
hronisches
, wie eine Grippe, die man in allen Knochen spürt, wie Phantomschmerzen, die einfach nicht aufhören und einen ständig daran erinnern, was man verloren hat. Die Tatsache, dass ich auf Tim, einen Mann, der mir in die Augen sehen und schwören konnte, dass er mich niemals verlassen wird, gestoßen war und ihn sogar geheiratet hatte, sollte eigentlich als Wunder in den Geschichtsbüchern vermerkt werden.
»Zu dem Zeitpunkt war ich doch schon ein hoffnungsloser Fall«, sagte Larry. »Ich hatte keine Ahnung, wie ich mit der Krankheit deiner Mutter umgehen sollte, zumal wir uns ja imJahr zuvor getrennt hatten. Ich hatte nicht das Gefühl, als könnte ich euch Mädchen etwas geben. Das Einzige, woran ich mich erinnere, sind all die Jahre, in denen ich nach Hause gefahren bin, mich in die Einfahrt gesetzt und mich gefragt habe, wen es, verdammt noch mal, kümmert, ob ich nun zur Tür hereinkomme oder nicht. Mir ging es nicht gut damals, weil ich ja alles vermasselt hatte.«
»Im Nachhinein kann ich dich verstehen, aber wir hätten trotzdem einen Vater gebraucht.«
Larrys Kiefer mahlte und er rieb sich die Augen.
Ich habe ihn nur ein einziges Mal weinen sehen und es war grässlich gewesen. Nach Moms Tod hatten wir drei uns zum Mittagessen getroffen und in einer Nische ganz hinten im Restaurant Platz genommen. Völlig in sich zusammengesunken saß er dann da, die Tränen liefen ihm die Wangen herunter, sein ganzer Körper bebte, während er herzzerreißend stöhnte. »Ich wünschte, ich könnte alles ungeschehen machen«, brach es schluchzend aus ihm heraus. Er hatte wie ein Tier geklungen, das im Sterben lag.
»Ich wünschte, ich wäre bei euch geblieben«, sagte er nun in schroffem Ton. Sein Mund verzog sich und dann wandte er sich von mir ab und setzte sich so hin, dass er den Kamin anstarren konnte.
»Wir haben es ja überlebt«, sagte ich in der Hoffnung, dem Gespräch wieder eine unbeschwert heitere Wendung zu geben.
»Stimmt«, sagte er, drehte sich wieder zu mir und setzte sich aufrecht hin. Ich konnte sehen, dass sich sein Brustkorb wieder in einem normalen Rhythmus hob und senkte. »Als deine Mutter krank wurde, wusste ich nicht, ob sie mich um sich haben wollte oder nicht. Ich hatte ihr ziemlich wehgetan, und ich kam zu dem Schluss, dass ich alles nur noch schlimmer machen würde, wenn ich bei ihr bliebe. Jetzt aber denke ich, dass ich damals vor dieser schweren Aufgabe davongelaufen bin. Stündeich nochmals vor dieser Entscheidung, würde ich bleiben, egal, was kommt.«
»Jetzt kannst du auch nichts mehr daran ändern.«
»Da hast du recht. Möchtest du sonst noch was wissen?«
»Ja, eine Frage hab ich noch. Bin ich mehr wie du oder mehr wie Mom?«
»Ganz sicher hast du mehr von deiner Mutter. Vor allem, wenn es um die wichtigen Dinge des Lebens geht, wie um Familie und so. Andererseits sind auch wir beide uns ziemlich ähnlich. Uns beiden fällt es nicht leicht, unser Los zu akzeptieren. Ich denke, wir kleben zu sehr an unserer Vergangenheit und können uns nur schwer auf die Zukunft konzentrieren. Stimmst du mir zu?«
»O ja«, antwortete ich. »Ich hatte schon immer das Gefühl, dass wir uns gegenseitig hätten helfen können, nachdem Mom gestorben war. Na ja, vielleicht nicht gerade
helfen
, aber wir wären wenigstens nicht allein gewesen in unserer Not. Aber wie das Leben nun mal so spielt … Es hat nicht sollen sein.«
Dann fiel mir ein, was ich neulich über Buddhismus gelesen hatte: Man kann niemals glücklich werden, wenn man in der Vergangenheit verharrt. Ich dachte darüber nach, inwieweit das auf
Weitere Kostenlose Bücher