Töchter auf Zeit
deswegen schon ständig beim Arzt. Ich wollte nicht, dass mir ein Arzt sagt, dass meine Unfruchtbarkeit damit zusammenhängt. Davor hatte ich am meisten Angst – mehr Angst als davor, dass ich das Krebsgen in mir trage.«
»Dieses Gen spricht eine deutliche Sprache«, fuhr Michelle fort. »Frauen, bei denen ein mutiertes BRCA1- oder BRCA2-Gen festgestellt wird, haben zweifellos ein erhöhtes Risiko, vor allem wenn es in ihrer Familie schon Krebserkrankungen gibt.«
»Das klingt nicht gerade gut. Da hilf nur noch eines: hoffen und beten.«
»Tun Sie das. Das kann schließlich nicht schaden.«
Dann ging es weiter zum Frauenarzt, der einen Abstrich machte und sich meine Eierstöcke mit dem Ultraschallgerät ansah.
»Das sieht alles gut aus«, meinte er dann. »Aber in Anbetracht Ihrer Familiengeschichte würde ich sagen, wir sehen uns alle sechs Monate.«
»Anders ausgedrückt, ich werde mich den Rest meines Lebens untersuchen lassen müssen, bis eines Tages feststeht, dass es nicht mehr gut aussieht.«
»Es bedeutet nur, dass Sie gut auf sich aufpassen müssen«, erwiderte er, reichte mir die Hand und ließ mich damit allein.
Genau eine Stunde später stand ich am Spielplatz. Larry saß auf einer Bank und trank Kaffee. Die Zeitung lag ungeöffnet neben ihm, er hielt seinen Blick starr auf die Mädels gerichtet. Maura kletterte auf einem Spielgerät herum, das mich an ein gigantisches Molekül erinnerte. Sam saß im Sandkasten und hob Steinchen auf. Sie war mit solchem Eifer bei der Sache, dass ihre Wangen rosenrot waren.
»Na, wie ist es gelaufen?«, fragte ich Larry und bückte mich, um Sam aufzuheben und an mich zu drücken. Ich konnte spüren, wie kalt ihre Wange war.
»Gut«, antwortete er. »Sam hat ihr Fläschchen getrunken und ein paar Cheerios gegessen. Maura ist hingefallen und hat sich ihr Knie aufgeschlagen, aber sie ist gleich wieder aufgestanden und hat weiter herumgetobt.«
Ich lächelte, weil ich es schön fand, wie Larry über die Mädels sprach.
»Und was ist mit dir? Was sagen die Ärzte?«
»Der Ultraschall war in Ordnung«, berichtete ich. »Außerdem haben sie mir Blut abgenommen, das wird jetzt auf meine genetische Veranlagung hin untersucht. Es kann aber ein paar Wochen dauern, bis das Ergebnis da ist.«
Larry nickte, sein Mund zuckte. Eine Minute verstrich. Ich setzte mich. Er bot mir einen Kaugummi an. Dann räusperte er sich und sagte: »Du kannst dich bestimmt nicht an meinen Vater, deinen Großvater Bob erinnern. Er starb, als ihr Mädels noch klein wart. Er ist niemals aus West Virginia herausgekommen, außer während des Zweiten Weltkriegs. Er war der härteste Mann, dem ich je begegnet bin. Einmal hat er sich heftig am Bein verletzt. Es hätte genäht werden müssen, aber er hielt nicht viel von Ärzten. Also hat er sich alles zurechtgelegt, was er gebraucht hat: Nadel, Faden, Alkohol. Und dann hat er die Wunde selbst genäht, am Küchentisch. Nicht ein Ton kam über seine Lippen.
Als Kind habe ich den Boden geküsst, auf dem er gelaufen ist, aber er hat sein Regiment mit eiserner Hand geführt. Am schlimmsten war es, wenn man ihm nicht gefolgt hat. Ich musste einmal im bitterkalten Winter in der Garage schlafen, weil ich ihn bat, mir bei meinen Hausaufgaben zu helfen. Er sagte bloß, ich hätte in der Schule besser aufpassen sollen. Vielleicht lag er damit ja richtig.
Er war immer sehr streng zu mir. Wollte einen richtigen Mann aus mir machen. Doch als ich dann auszog, war von meinem einstigen Respekt für ihn nicht mehr viel vorhanden. Ich habe mir geschworen, niemals so zu werden wie er. Schließlich wusste ich aus erster Hand, wie sich das anfühlte. Dann heiratete ich eure Mutter, eine ganz liebe Frau. Ich dachte, sie wäre der Gegenpol zu meiner Kindheit. Und dann kamt ihr beide auf die Welt. Ich hätte eine Million Dollar verwettet, dass jemand wie ich, der aus einem Kaff in West Virginia kam, niemals soverrückt nach seinen Töchtern wäre. Aber das war ich. Ich liebte es, euch im Arm zu halten, euch zu baden. Damals war ich richtig glücklich. Als ihr noch klein wart, habt ihr mich angesehen, als könnte ich die Welt aus den Angeln heben. Verdammt, ich weiß noch genau, wie sich das angefühlt hat, wenn ihr euch an mich geklammert habt oder auf mir herumgeturnt seid. Damals waren wir eine glückliche Familie.« Larry hielt inne, sah Maura an und seufzte.
»Ich weiß nicht, was dann passiert ist. Deine Mutter hatte immer viel zu tun, entweder in ihrem Job oder
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