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Töchter auf Zeit

Töchter auf Zeit

Titel: Töchter auf Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Handford
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Mann. »Ich meine mit Claire und den Mädels. Sie können froh sein, dich zu haben.«
    »Wir kannten uns noch nicht, als meine Mom krank wurde«, holte ich ihn wieder runter. »Aber ich war damals ein echtes Miststück. Man kriegt im Leben nur selten eine zweite Chance, aber Claires Krebs gibt mir die Möglichkeit, das wiedergutzumachen, was ich mit Mom vermasselt habe.«
    Meine Mutter starb an einem Montag. Ich war etwa um sieben Uhr morgens aufgestanden und in ihr Zimmer gegangen. Sie war schon wach, hatte sich jede Menge Kissen hinter den Rücken gestopft und auf ihrem Schoß lag eine zusammengefaltete Zeitung. Sie hatte wohl versucht, das Kreuzworträtsel zu lösen. Im Nachhinein betrachtet hat sie, glaube ich, nicht sehr viel geschlafen in den letzten Tagen ihres Lebens.
    »Kann ich etwas für dich tun?«, hatte ich sie gefragt, obwohl ich wusste, dass Claire schon bei ihr gewesen war. Neben Mom stand ein Tablett mit einer Scheibe Toast, den Mom nicht angerührt hatte, und einer Tasse Tee.
    »Eine Umarmung hätte was«, lächelte sie. Ihre Haut war so dünn wie Pergamentpapier und spannte über ihren Wangenknochen.
    Ich beugte mich zu ihr, um sie zu drücken, und legte meine Hände auf ihre Schultern – die sich knochig unter ihrem Nachthemd abzeichneten.
    »Ich liebe dich«, flüsterte sie mir ins Ohr.
    »Ich weiß«, erwiderte ich.
    Ich hasste dieses Krankenhausbett. Und ich hasste den Geruch des Tigerbalsams, mit dem Claire ihr den Rückeneingerieben hatte. Doch am meisten hasste ich die Ansammlung brauner Medizinfläschchen auf ihrem Nachttisch.
    Als Mom merkte, dass ich mich ihr entziehen wollte, nahm sie mein Gesicht in ihre Hände – kalte, gebrechliche Hände, zart wie Vogelknochen. Sie zwang mich, sie anzusehen. »Ich liebe dich von ganzem Herzen. Ehrlich.«
    Mit einem Mal glühten meine Wangen, meine Nase fing an zu kribbeln und ich spürte, wie meine Mundwinkel nach unten sanken. Ich versuchte, ihr dieselben Worte zu sagen, aber meine Kehle war wie zugeschnürt. Es ging einfach nicht. Ich konnte es ihr nicht sagen. Deshalb nickte ich bloß und verließ den Raum.
    Gegen Abend war Mom nicht mehr bei Bewusstsein. Claire hatte sich darauf vorbereitet. Wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht, hatte sie auch für diesen Moment eine To-do-Liste zusammengestellt. Sie rief die behandelnden Ärzte an, das Hospiz schickte eine Schwester zu uns. Meine Mutter war ein Einzelkind, ihre Eltern schon längst tot. Claire musste also nur ein paar Großtanten und Großonkeln Bescheid geben. Aus meiner Zimmerecke sah ich mit an, wie sie anschließend erneut zum Telefon griff, das Kabel verdrehte und Larrys Nummer wählte. »Sie hat das Bewusstsein verloren«, sagte sie, und zum ersten Mal brach ihre Stimme. Sie wischte sich mit dem Ärmel über das Gesicht. Larry muss etwas Nettes gesagt haben, denn auf Nettigkeiten reagierte Claire höchst allergisch, wie Superman auf Kryptonit. Sie stand also da, ihr Mund war nach unten geklappt, und ein stiller Schrei entfuhr ihr. Die Tränen strömten nur so über ihr Gesicht. Sobald sie sich wieder gefasst hatte, meinte sie: »Okay. Ja. Komm vorbei.«
    Ich nutzte den Moment, als Mom bewusstlos war, wir auf Larry und den Arzt warteten und sich Claire um alles kümmerte, was nach dem Tod eines Menschen zu organisieren war, um zu Mom ins Zimmer zu schlüpfen und das zu tun, was mir Stunden vorher nicht möglich gewesen war. Ich umarmte sie, wie ich dasvorher so oft wie möglich hätte tun sollen, und flüsterte ihr ins Ohr: »Ich liebe dich, Mom, ich liebe dich ganz doll.«

KAPITEL 19
    Am nächsten Tag fuhr ich Maura in den Kindergarten, anschließend dann mit Sam weiter ins Krankenhaus, um Claire zu besuchen. Larry wartete bereits in der Lobby auf uns. Ich hatte ihn früh am Morgen angerufen. Als wir den Fahrstuhl betraten, verlor keiner von uns ein Wort, doch als wir ausstiegen, berührte Larry meinen Ellbogen.
    »Glaubst du wirklich, dass es eine gute Idee ist, dass ich hier bin?«
    »Das kann ich dir nicht sagen, aber wenn nicht jetzt, wann dann??«
    Eine Schwester brachte uns in Claires Zimmer, wo sie an einem Tropf hing. Ihre Unterarme schillerten regenbogenfarben, weil das nicht die einzige Infusion war, die sie in den letzten paar Tagen erhalten hatte. Ross war auch da und telefonierte gerade mit seiner Mutter. Claire sah fern, hatte den Ton aber auf ganz leise gedreht. Auf ihrem Schoß lag ein Laptop.
    An welcher morbiden To-do-Liste arbeitet sie denn jetzt
, schoss es

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