Töchter auf Zeit
die Cafeteria und füllten unsere Becher. Er trank seinen Kaffee schwarz, ich meinen mit Milch und Zucker.
»Deine Schwester sieht ziemlich schlecht aus«, sagte Larry, während wir den Gang entlang zurückgingen.
»Na ja, sie ist ja auch gerade erst operiert worden. Sie wird schon wieder.«
»Ich halte es für das Beste, wenn du – wenn wir uns auf das Schlimmste gefasst machen.«
Ich blieb stehen und sah Larry an. Zwei Ärzte in ihren Ärztekitteln kamen uns entgegen.
»Auf keinen Fall. Claire wird wieder gesund.« Ich konnte spüren, wie meine Wangen glühten und mein Herz raste. »Sie schafft das. Seit Moms Tod hat sich einiges getan in der Medizin. Ihre Prognose ist besser. Du kennst Claire nicht halb so gut wie ich. Du hast keine Ahnung, wozu sie fähig ist.«
»Ich weiß, dass sie hart im Nehmen ist.«
»Das beschreibt sie nicht mal ansatzweise«, sagte ich. »Das tut sie Maura nicht an, dass sie sie allein lässt, so wie Mom das getan hat.«
Larry sah mich nur an und sagte erst mal kein Wort. Dann brach es aus ihm heraus: »Deine Mutter hätte alles gegeben, um bei euch bleiben zu können.«
»Mom war die Beste, aber sie hat ihr Schicksal zu schnell akzeptiert«, erwiderte ich. »Claire ist da ganz anders. Sie ist auch ein gläubiger Mensch, aber wenn es um Maura geht, würde siedem Teufel ihre Seele verkaufen, um bei ihr bleiben zu können. Sie schafft das, du wirst schon sehen.«
Larry nickte und legte mir zaghaft die Hand auf die Schulter. »Ich hoffe, du behältst recht.«
Zwei Wochen später fuhren Sam, Maura und ich zum Gelände des städtischen Klinikums. Ich hatte mich recht erinnert, dort gab es einen Spielplatz, direkt vor der Kinderstation. Larry wartete schon auf uns.
»Maura, mein Schatz«, fragte ich meine Nichte. »Weißt du noch, dass ich dir versprochen habe, zum Mittagessen zu McDonald’s zu gehen?«
»Aber klar«, antwortete Maura. »Und weißt du was, Tante Helen? Ich will Chicken-Nuggets, Pommes, einen Schoko-Milchshake und Spielsachen von Happy Meal, aber nur was für Mädchen.«
»Kriegst du!«, sagte ich. »Aber weißt du auch noch, dass ich gesagt habe, dass wir vorher noch wo anhalten müssen?«
»Du musst zum Onkel Doktor«, antwortete Maura.
»Ganz genau«, erwiderte ich. »Ich bin gleich wieder da, und unser Freund Larry passt in der Zeit auf dich und Sam auf. Du weißt noch, wer Larry ist, oder? Er hat dir neulich im Park mit deiner Angel geholfen.«
»Das hat Spaß gemacht«, jubelte Maura.
»Danke, dass du auf sie aufpasst.« Ich setzte Sam auf den Boden und drückte Larry ihre Windeltasche in die Hand. »Ich wollte nicht noch jemanden beunruhigen. Vor allem, weil es ja überhaupt keinen Grund dafür gibt, nicht wahr?«
»Ich freue mich, dass ich dir helfen kann.«
»Pass auf, dass Maura Mütze und Handschuhe anbehält«, bat ich ihn, rückte Sams Ohrklappen zurecht und zupfte an ihrem Mantel. »Zum Glück scheint die Sonne.«
»Nimm dir die Zeit, die du brauchst. Den Mädels passiert schon nichts.«
Im Krankenhaus nahm ich den Aufzug in den dritten Stock und fand das Büro mit dem Türschild
Humangenetische Beratung
gleich. Ich gab an der Anmeldung Bescheid, nahm dann im Wartezimmer Platz und blätterte gedankenverloren in einer Zeitschrift.
Schon nach wenigen Minuten wurde ich aufgerufen. Die Humangenetikerin, die sich mir als Michelle vorgestellt hatte, erstellte einen Stammbaum mit sämtlichen in unserer Familie aufgetretenen Krankheiten. Manche meiner Verwandten waren schon gestorben, andere nicht. Ich erzählte ihr von Mom, Claire und meiner Großmutter mütterlicherseits.
»Die Tatsache, dass sowohl Ihre Mutter als auch Ihre Schwester an Eierstockkrebs erkrankt sind, bedeutet natürlich auch in Ihrem Fall ein erhöhtes Risiko«, erklärte sie mir.
Schon klar.
»Jetzt nehme ich Ihnen erst mal Blut ab«, erläuterte sie. »Das wird dann auf Verschiedenes getestet, unter anderem auch auf das Brustkrebsgen BRCA1 und BRCA2. Beide können anzeigen, wenn ein erhöhtes Risiko besteht, an unterschiedlichen Krebsarten zu erkranken.«
»Bei Claire waren beide Tests positiv.«
»Und Sie selbst haben sich nie testen lassen?«
»Ich wollte ja … vor ein paar Jahren, kurz nachdem meine Schwester den Test hatte machen lassen. Aber dann kam immer wieder etwas dazwischen. Na ja, um ehrlich zu sein, ich habe meine Meinung geändert, weil ich mir vor Angst fast in die Hose gemachte habe. Außerdem wollte ich damals unbedingt schwanger werden und war
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