Toechter Aus Shanghai
Jungen und Mädchen kennenlernen und hoffentlich eines Tages untereinander heiraten. Diese Erwartung setzt natürlich voraus, dass sie überhaupt einen Chinesen heiraten wollen.
»Sie kann von Glück sagen, dass ihre Ehe nicht arrangiert wird«, seufzt May. »Andererseits will man selbst bei Tieren reinrassige Verbindungen und keine Mischlinge.«
Wenn man sein Heimatland verliert, was bewahrt man dann, und was gibt man auf? Wir haben nur die Dinge gerettet, die zu retten waren: chinesisches Essen, die chinesische Sprache und die Chance, so viel Geld wie möglich an die Louie-Familie im Heimatdorf zu schmuggeln. Doch was ist mit einer arrangierten Ehe
für meine Tochter? Sam ist nicht Z. G., doch er ist ein guter, lieber Mann. Und Vern wird zwar nie ein Mann sein, hat aber May immerhin nie geschlagen und kein Geld beim Glücksspiel verloren.
»Dränge sie bloß nicht zum Heiraten«, fährt May fort. »Sorge für eine gute Ausbildung.« (Daran arbeite ich praktisch seit dem Moment, als Joy zur Welt kam.) »In Shanghai hatte ich nicht das, was du hattest«, beschwert sich meine Schwester, »doch Joy sollte zum College gehen, so wie du.« Sie hält inne, damit das bei mir ankommt, so als hätte ich das nicht schon hundertmal gehört. »Aber es ist schön, dass sie so gute Freundinnen hat«, fügt May hinzu, während die Mädchen sich angesichts einer anrollenden großen Welle aneinanderklammern. »Weißt du noch, als wir so lachen konnten? Damals dachten wir, uns könne nie etwas Schlimmes passieren.«
»Das Wesen des Glücks hat nichts mit Geld zu tun«, sage ich und glaube es auch. May beißt sich auf die Lippe, und ich merke, dass ich genau das Falsche gesagt habe. »Damals dachten wir, die Welt würde untergehen, als Baba alles verlor...«
»Das tat sie auch«, sagt May. »Unser Leben wäre völlig anders verlaufen, wenn er unser Geld gespart hätte, statt es zu verspielen. Deshalb arbeite ich ja so hart.«
Du verdienst es und gibst es gleich wieder für Kleidung und Schmuck aus , denke ich, sage aber nichts. Unsere unterschiedlichen Einstellungen zum Geld gehören zu den zahlreichen Dingen, über die sich meine Schwester aufregt.
»Was ich damit sagen will«, versuche ich es erneut in der Hoffnung, Mays Stimmung nicht weiter zu verdüstern. »Joy hat Glück, Freundinnen zu haben, so wie ich Glück habe, dass es dich gibt. Mama hat von zu Hause weggeheiratet und ihre Schwestern nie wiedergesehen, aber du und ich, wir werden uns immer haben.« Ich lege ihr den Arm um die Schulter und schüttle sie zärtlich. »Manchmal stelle ich mir vor, dass wir eines Tages in einem Zimmer leben, genau wie damals als Mädchen, nur dass wir dann im
Altenheim sind. Wir essen zusammen. Wir verkaufen gemeinsam Lose für die Tombola. Wir basteln zusammen...«
»Wir gehen zusammen zu Matinées«, fügt May lächelnd hinzu.
»Und wir singen zusammen Psalmen.«
May runzelt die Stirn. Schon wieder habe ich einen Fehler gemacht, deshalb spreche ich schnell weiter.
»Und wir spielen Mah-Jongg! Wir werden zwei alte Damen in Rente sein, dick und rund, die Mah-Jongg spielen und über alles Mögliche klagen.«
May nickt und schaut sehnsüchtig über das Meer nach Westen zum Horizont.
Als wir nach Hause kommen, schläft Vater Louie in seinem Sessel. Ich gebe Joy, Hazel und Rose Strohhalme und schicke sie nach draußen in den Garten, wo sie Pfefferkörner vom Boden aufsammeln, in die Strohhalme stopfen, sich mit den harmlosen rosa Kügelchen beschießen können und lachend und kreischend zwischen den Pflanzen herumlaufen. Sam und ich gehen zu Vern, um seine Windel zu wechseln. Das offene Fenster trägt nicht groß dazu bei, den Gestank von Krankheit, Kot, Urin und Eiter zu vertreiben. May bringt Tee herein. Ein paar Minuten bleiben wir bei Vern sitzen, um ihm von unserem Tag zu berichten, dann gehe ich in die Küche. Ich packe aus und bereite das Abendessen vor, wasche den Reis, schneide Ingwer und Knoblauch klein, schnetzele das Rindfleisch.
Kurz bevor ich mit dem Kochen beginne, schicke ich die Töchter der Yees nach Hause. Während ich lo mein mit Rindfleisch, Tomaten und Curry zubereite, deckt Joy den Tisch - eine Aufgabe, die damals in Shanghai immer von einem unserer Dienstboten unter dem wachsamen Auge von Mama verrichtet wurde. Joy legt die Essstäbchen aus, achtet darauf, kein ungleiches Paar zusammenzufügen, denn das würde bedeuten, dass der betroffene Esser ein Schiff, ein Flugzeug oder einen Zug verpasst (nicht dass
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