Toechter Aus Shanghai
mir vor Freude, dass Z. G. noch lebt.
Ehe ich mich versehe, ist Sam neben mir und ruft aufgeregt: »Das bist du! Das sind May und du!«
Ich laufe rot an, als sei ich ertappt worden. Ich bin ertappt worden. Hilfe suchend schaue ich zu May hinüber. Als Schwestern konnten wir uns immer mit einem einzigen kurzen Blick verständigen.
»Das muss Z. G. Li gemalt haben«, sagt May ruhig. »Wie nett, dass er sich auf diese Weise an uns erinnert. Er hat Pearl besonders schön dargestellt, nicht?«
»Er hat euch beide genauso gemalt, wie ich euch sehe«, sagt Sam, ganz der gute Ehemann und anerkennende Schwager. »Immer schön. Schön für immer.«
»Geht so«, stimmt May leichthin zu, »allerdings haben wir beide in Bauernsachen nie richtig gut ausgesehen.«
Später am Abend, als alle im Bett liegen, gehe ich zu meiner Schwester auf die Veranda. Wir sitzen auf ihrem Bett, halten uns an der Hand und betrachten die Zeitschrift. Sosehr ich Sam auch liebe, ein Teil von mir jubiliert, weil ich jetzt weiß, dass jenseits des Ozeans in Shanghai - ich muss davon ausgehen, dass Z. G. dort lebt -, in einem Land, das mir verschlossen ist, der Mann, den ich vor langer Zeit liebte, mich immer noch liebt.
Nur eine Woche später wird uns klar, dass Vaters Schwäche und Teilnahmslosigkeit mehr ist als eine normale Alterserscheinung. Er ist krank. Der Arzt sagt, Vater Louie habe Lungenkrebs, man könne nichts mehr tun. Yen-yens Tod kam so plötzlich in einem so unpassenden Moment, dass wir nicht die Möglichkeit hatten, uns auf ihr Ende vorzubereiten oder anschließend angemessen
zu trauern. Nun denkt jeder von uns an die Fehler zurück, die er im Laufe der Jahre gemacht hat, und versucht, sie in der Zeit, die uns noch mit Vater bleibt, wiedergutzumachen. In den nächsten Monaten haben wir oft Besuch, und die Gäste sprechen anerkennend von meinem Schwiegervater, nennen ihn einen erfolgreichen Mann vom goldenen Berg, doch wenn ich ihn in seinen letzten Tagen betrachte, sehe ich lediglich einen ruinierten Mann. Er hat so hart gearbeitet, nur um seine Geschäfte, sein Eigentum in China und so gut wie alles zu verlieren, was er sich hier aufgebaut hat. Zum Ende seines Lebens ist er von seinem Papiersohn abhängig, bekommt von ihm Unterkunft, Nahrung, die abendliche Pfeife und die Exemplare von China Reconstructs , die Sam am Eckladen unter der Ladentheke kauft.
Vaters einziger Trost in seinen letzten Monaten, während der Krebs seine Lunge zerfrisst, sind die Fotos, die ich aus der Zeitschrift schneide und neben seinen Sessel an die Wand pinne. Oft sehe ich, wie ihm Tränen über die eingefallenen Wangen laufen, wenn er das Land betrachtet, das er als junger Mann verließ: die heiligen Berge, die Chinesische Mauer, die Verbotene Stadt. Er sagt, er hasse die Kommunisten, denn das muss man sagen, doch noch immer liebt er das Land, die Kunst, die Kultur und das Volk von China, was nichts mit Mao, dem Bambusvorhang und der Angst vor den Roten zu tun hat. Vater ist nicht allein mit seiner Nostalgie und Sehnsucht nach der Heimat. Viele der seit Langem hier Lebenden wie Onkel Wilburt und Onkel Charley kommen zu uns und betrachten die Bilder ihrer verlorenen Heimat; so tief ist ihre Liebe zu China, egal, was aus dem Land geworden ist. All dieses geschieht kurz nacheinander, und viel zu früh stirbt Vater.
Eine Beerdigung ist das wichtigste Ereignis im Leben eines Menschen - bedeutsamer als die Geburt, ein Geburtstag oder die Hochzeit. Da Vater ein Mann war und über achtzig Jahre alt wurde, ist seine Beerdigung viel größer als die von Yen-yen. Wir mieten ein Cadillac-Cabrio und fahren mit einem großen, blumenumkränzten Foto von ihm auf dem Rücksitz durch Chinatown.
Der Fahrer des Leichenwagens wirft Geistergeld für böse Dämonen und andere niedere Geister, die möglicherweise den Weg versperren, aus dem Fenster. Eine Blaskapelle zieht hinter dem Leichenwagen her, spielt chinesische Volkslieder und Militärmärsche. In der Halle verbeugen sich dreihundert Menschen dreimal vor dem Sarg und erneut dreimal vor uns, den trauernden Angehörigen. Wir schenken den Gästen Münzen, um sa he zu vertreiben - die schlechte Luft des Todes -, und Süßigkeiten gegen den bitteren Geschmack des Todes. Alle sind weiß gekleidet - die Farbe der Trauer, die Farbe des Todes. Dann gehen wir ins Restaurant Soochow zum gaai wai jau - dem traditionellen siebengängigen »schlichten« Essen aus gedämpftem Huhn, Meeresfrüchten und Gemüse, das »den Kummer
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