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Toechter Aus Shanghai

Titel: Toechter Aus Shanghai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa See
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sagt der Agent plötzlich so laut in Sze Yup, dass ich meine Schwester erstaunt ansehe. Es ist, als sollten wir nicht nur hören, was er sagt, sondern auch mitbekommen, wie fließend er den Dialekt unserer Heimat spricht.
    »Ich war in China«, gibt Onkel Charley zu. Wir können ihn kaum hören, so stark bebt seine Stimme. »Ich habe all meine Ersparnisse verloren und bin wieder zurückgekommen.«
    »Wir haben gehört, dass Sie schlecht über Chiang Kai-shek geredet haben.«
    »Habe ich nicht.«
    »Es wurde aber behauptet.«
    »Von wem?«
    Der Agent antwortet nicht auf die Frage. Stattdessen will er wissen: »Ist es nicht so, dass Sie Chiang Kai-shek die Schuld daran geben, Ihr Geld verloren zu haben?«
    Charley kratzt an seinem Ausschlag am Hals und beißt sich auf die Lippen.
    Der Agent wartet und fragt dann: »Wo sind Ihre Papiere?«
    Onkel Charley wirft einen kurzen Blick durch das Fenster, sucht nach Hilfe, nach Ermutigung oder einer Fluchtmöglichkeit.
    Der Agent - ein großer lo fan mit sandfarbenem Haar und Sommersprossen auf Nase und Wangen - grinst und sagt: »Ja, gehen wir rein. Ich würde gerne Ihre Familie kennenlernen.«
    Der Agent betritt das Café, und Onkel Charley folgt ihm mit gesenktem Kopf. Der lo fan steuert direkt auf Sam zu, zeigt ihm seine Dienstmarke und sagt in Sze Yup: »Ich bin Special Agent Jack Sanders. Sie sind Sam Louie, richtig?« Als Sam nickt, fährt er fort: »Ich sage immer, es ist sinnlos, um den heißen Brei herumzureden. Wir haben gehört, Sie hätten früher die China Daily News gekauft.«
    Sam steht vollkommen still, schätzt den Fremden ab, denkt
über seine Antwort nach, macht ein ausdrucksloses Gesicht. Die wenigen Gäste, die natürlich kein Wort verstehen, aber durchaus wissen, dass die vorgezeigte Dienstmarke nichts Gutes zu bedeuten hat, warten mit angehaltenem Atem Sams Reaktion ab.
    »Ich habe die Zeitung für meinen Vater gekauft«, sagt Sam auf Sze Yup, und ich sehe die Enttäuschung in den Gesichtern der Gäste, weil sie das Geschehen nicht so unmittelbar verfolgen können, wie sie gerne möchten. »Er starb vor fünf Jahren.«
    »Die Zeitung unterstützt die Roten.«
    »Mein Vater hat sie manchmal gelesen, doch abonniert hatte er Chung Sai Yat Po .«
    »Sieht so aus, als hätte Ihr Vater Mao unterstützt.«
    »Ganz und gar nicht. Warum sollte er?«
    »Warum hat er dann China Reconstructs gekauft? Und warum kaufen Sie die Zeitschrift nach seinem Ableben noch immer?«
    Plötzlich muss ich ganz dringend zur Toilette. Sam kann unmöglich die Wahrheit sagen - dass seine Frau und seine Schwägerin hin und wieder auf dem Titelbild sind. Weiß der Mann vom FBI bereits, dass es unsere Gesichter sind? Oder betrachtet er die hübschen Mädchen in den graugrünen Uniformen mit dem roten Stern an der Mütze und denkt dabei, alle Chinesen sehen gleich aus?
    »Ich habe gehört, dass Sie im Wohnzimmer über dem Sofa Bilder aus der Zeitschrift an die Wand geklebt haben - Bilder von der Chinesischen Mauer und dem Sommerpalast.«
    Das bedeutet, dass uns jemand denunziert hat - ein Nachbar, ein Freund, ein Konkurrent, der bei uns zu Hause war. Warum haben wir nach Vaters Tod bloß nicht alle Fotos abgenommen?
    »In seinen letzten Monaten hat mein Vater gerne diese Sehenswürdigkeiten betrachtet.«
    »Vielleicht fühlte er sich Rotchina so tief verbunden, dass er zurück nach Hause wollte...«
    »Mein Vater war amerikanischer Staatsbürger. Er wurde hier geboren.«

    »Dann zeigen Sie mir seine Papiere...«
    »Er ist tot«, wiederholt Sam. »Und ich habe sie nicht hier.«
    »Dann besuche ich Sie vielleicht besser zu Hause, oder würden Sie lieber in unser Büro kommen? Dann können Sie auch Ihre eigenen Papiere mitbringen. Ich möchte Ihnen ja gerne glauben, aber Sie müssen Ihre Unschuld beweisen.«
    »Meine Unschuld oder dass ich Staatsbürger bin?«
    »Das ist dasselbe, Mr. Louie.«
    Als ich mit Verns Essen nach Hause komme, erzähle ich ihm und Joy nichts von all dem. Ich will nicht, dass die beiden sich Sorgen machen. Als Joy fragt, ob sie am Abend ausgehen kann, sage ich so locker wie möglich: »Sicher. Sei nur bitte vor zwölf Uhr zurück.« Jetzt glaubt sie, endlich über ihre Mutter triumphiert zu haben, dabei möchte ich sie nur aus dem Weg haben.
    Sobald Sam und May nach Hause kommen, reißen wir die von dem Agenten erwähnten Bilder von der Wand. Sam stopft alle Ausgaben der China Daily News , die mein Schwiegervater wegen irgendeines Artikels aufgehoben hat, in einen

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