Toechter Aus Shanghai
Papierteilhaber, Papiersöhne, Verwandte und Nachbarn, die man kennt. Doch am wichtigsten ist es der Regierung, Kommunisten zu finden. Wenn man jemanden anzeigt, weil er angeblich Kommunist ist, bekommt man auf jeden Fall die Staatsbürgerschaft.«
»Wir sind alle amerikanische Staatsbürger. Wir haben uns nichts vorzuwerfen.«
Seit Jahren sind Sam und ich hin- und hergerissen zwischen dem amerikanischen Ideal, die Wahrheit mit Joy zu teilen und ehrlich zu sein, und unserer tief sitzenden chinesischen Überzeugung, dass man so wenig wie möglich preisgibt. Unsere chinesische Art hat gewonnen, sodass wir unseren wahren Aufenthaltsstatus wie auch den von Joys Onkeln und ihrem Großvater vor ihr verheimlicht haben, und das aus zwei sehr verständlichen
Gründen: Wir wollten nicht, dass sie sich Sorgen macht, und wir wollten nicht, dass sie etwas Falsches am falschen Ort sagt. Sicherlich ist unsere Tochter heute viel älter als zu Zeiten der Vorschule, aber wir haben damals gelernt, dass selbst der kleinste Fehler schlimme Konsequenzen haben kann.
Ich hänge Sams gebügeltes Hemd auf und setze mich neben Joy. »Ich will dir erzählen, wie sie den Leuten auflauern, damit du es merkst, falls jemand auf dich zukommt. Sie suchen Chinesen, die Teegeld nach China schicken...«
»Das hat Opa Louie gemacht.«
»Genau. Und sie suchen Leute, die auf legalem Wege versucht haben, ihre Familie aus China herauszubekommen, als die Grenzen geschlossen wurden. Sie wollen wissen, wem gegenüber wir loyal sind: China oder den Vereinigten Staaten.« Ich halte inne, um mich zu vergewissern, dass Joy mir zuhört. Dann sage ich: »Unsere chinesische Denkweise ist hier in Amerika nicht immer die beste. Wir sind überzeugt, dass Demut, Respekt und Ehrlichkeit helfen, jede Situation besser zu verstehen, dass sie uns davor schützen, andere zu verletzen, und alles zu einem guten Ende führen. Diese Denkweise könnte jetzt uns und vielen anderen Menschen schaden.«
Ich atme tief durch, um Mut für etwas zu sammeln, das ich Joy nicht schreiben konnte. »Erinnerst du dich noch an die Familie Yee?« Natürlich tut sie das. Joy war eng befreundet mit Hazel, der ältesten Tochter, und verbrachte bei unseren Treffen viel Zeit mit den anderen Kindern der Yees. »Mr. Yee ist ein Papiersohn. Er hat Mrs. Yee über Winnipeg hereingeholt.«
»Er ist ein Papiersohn?«, fragt Joy überrascht, vielleicht beeindruckt.
»Er entschied sich für ein Geständnis, damit er hier bei seiner Familie bleiben kann, da alle vier Kinder amerikanische Staatsbürger sind. Er erzählte der Einwanderungsbehörde, der INS, er habe seine Frau mit Hilfe seiner falschen Staatsbürgerschaft ins Land geholt. Jetzt ist er echter amerikanischer Staatsbürger, aber
die INS hat ein Ausweisungsverfahren gegen Mrs. Yee eröffnet, weil sie eine Papierfrau ist. Sie haben noch zwei Kinder zu Hause, die keine zehn Jahre alt sind. Was sollen die ohne ihre Mama tun? Die INS will sie zurück nach Kanada schicken. Immerhin muss sie nicht nach China.«
»Vielleicht würde es ihr in China besser gehen.«
Als ich das höre, weiß ich nicht mehr, wer da spricht - ein dummer Papagei, der alles wiederholt, was dieser Joe erzählt? Oder zeigt sich hier die tief sitzende vorsätzlich kindische Einfalt ihrer leiblichen Mutter?
»Das ist Hazels Mutter, über die du sprichst! Sollen deren Kinder etwa auch so denken, wenn ich nach China zurückgeschickt würde?« Ich warte auf eine Antwort, bekomme aber keine. Ich stehe auf, klappe das Bügelbrett zusammen, bringe es weg und schaue nach Vern.
Am Abend trägt Sam Vern zum Sofa, damit wir zusammen zu Abend essen und Rauchende Colts sehen können. Es ist warm, deshalb gibt es ein schlichtes, erfrischendes Mahl: große Scheiben Wassermelone, in unserem Frigidaire wunderbar gekühlt. Wir versuchen gerade mitzubekommen, was Miss Kitty zu Matt Dillon sagt, als Joy wieder mit der Volksrepublik China anfängt. Neun Monate lang fühlte sich ihre Abwesenheit an wie ein Loch in der Familie. Uns fehlten der Klang ihrer Stimme und ihr schönes Gesicht. Irgendwann füllten wir dieses Loch mit dem Fernsehen, mit ruhigen Gesprächen unter uns vieren und kleinen Unternehmungen von May und mir. Jetzt, da Joy seit zwei Wochen zu Hause ist, haben wir das Gefühl, sie nehme zu viel Raum ein mit ihren Meinungsäußerungen, ihrem Verlangen nach Aufmerksamkeit, ihrem Bedürfnis, uns mitzuteilen, wie hoffnungslos rückständig wir sind, und mit ihrer geübten Art, einen Keil
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