Toechter Aus Shanghai
Sack. Ich befehle May, ihre Kommode zu durchsuchen und alle Titelbilder herauszuholen, die Z. G. von uns beiden gemalt hat.
»Ich glaube, das ist nicht nötig«, sagt May.
Scharf gebe ich zurück: »Streite dieses eine Mal bitte nicht mit mir.« Als sie keine Anstalten macht, seufze ich ungeduldig: »Es sind doch bloß Titelbilder. Wenn du sie jetzt nicht holst, mache ich das.«
May zieht eine Schnute und geht auf ihre Veranda. Ich schaue unsere Fotografien durch, suche welche, die eventuell - und ich hätte nie gedacht, dass ich das Wort je benutzen würde - belastend sein können.
Während Sam noch einmal durch das ganze Haus geht, bringen May und ich alles, was wir gesammelt haben, zum Abfallverbrenner. Ich setze meinen Stapel von Fotos in Brand und warte darauf, dass May die Titelbilder hineinwirft, die sie sich an die Brust drückt. Als sie keine Anstalten macht, entwinde ich sie ihr
und werfe sie ins Feuer. Während ich zusehe, wie das Gesicht - mein Gesicht, das Z. G. so schön und perfekt gemalt hat - sich in den Flammen verzieht, frage ich mich, warum wir dies alles überhaupt ins Haus gelassen haben. Ich kenne die Antwort. Sam, May und ich sind nicht besser als Vater Louie. Von der Kleidung, dem Essen und der Sprache her sind wir Amerikaner geworden, wünschen uns das Beste für Joys Ausbildung und Zukunft, doch nicht einen Tag in all diesen Jahren haben wir aufgehört, unsere Heimat zu vermissen.
»Sie wollen uns hier nicht«, sage ich leise, den Blick auf die Flammen gerichtet. »Sie wollten uns hier nie. Sie werden uns austricksen, aber wir müssen sie genauso austricksen.«
»Vielleicht sollte Sam es hinter sich bringen und einfach gestehen«, schlägt May vor. »Dann bekommt er die Staatsbürgerschaft, und wir müssen uns keine Sorgen mehr machen.«
»Du weißt genau, dass es nicht reicht, seinen eigenen Aufenthaltsstatus offenzulegen. Er müsste auch andere anzeigen - Onkel Wilbert, Onkel Charley, mich...«
»Ihr solltet alle gemeinsam gestehen. Dann werdet ihr alle rechtmäßige Staatsbürger. Willst du das nicht?«
»Natürlich will ich das. Aber was ist, wenn die Regierung lügt?«
»Warum sollte sie lügen?«
»Wann hat sie denn mal nicht gelogen?«, erwidere ich und füge hinzu: »Was ist, wenn sie uns ausweisen? Wenn Sam überführt wird, dass er illegal hier ist, dann komme auch ich für eine Ausweisung in Frage.«
Meine Schwester denkt darüber nach. Dann sagt sie: »Ich will dich nicht verlieren. Ich habe Vater Louie versprochen, dass ich mich für dich einsetze, damit du nicht fortgeschickt wirst. Sam muss für Joy gestehen, für dich, für uns alle. Das ist seine einzige Chance auf Amnestie. Nur so kann er die Familie zusammenhalten und endlich unsere Geheimnisse loswerden.«
Mir ist unbegreiflich, wieso meine Schwester das Problem
nicht sieht - nicht sehen will -, aber schließlich ist sie mit einem rechtmäßigen Staatsbürger verheiratet, kam legal als Ehefrau her und muss nicht dieselbe Angst haben wie Sam und ich.
May legt mir den Arm um die Schulter und zieht mich an sich. »Keine Sorge, Pearl«, redet sie mir zu, als sei ich die moy moy und sie die jie jie . »Wir suchen uns einen Anwalt, der das alles in die Hand nimmt...«
»Nein! Wir haben das schon einmal durchgestanden, du und ich, auf Angel Island. Wir werden nicht zulassen, dass sie Sam, mir, irgendeinem von uns etwas antun. Wir werden zusammenhalten und ihre Vorwürfe zurückweisen, so wie wir es auf Angel Island getan haben. Wir müssen sie verwirren. Vor allem ist wichtig, dass unsere Geschichte stimmig ist.«
»Ja, genau«, sagt Sam, der aus der Dunkelheit tritt und einen weiteren Stapel Zeitungen und Erinnerungen in den Abfallverbrenner wirft. »Aber am wichtigsten ist es für uns, zu beweisen, dass wir die treuesten Amerikaner sind, die es je gab.«
May gefällt das nicht, doch sie ist meine moy moy und Schwägerin und muss gehorchen.
Joy - der wir in der Hoffnung, ihr Unwissen halte unsere Geschichte zusammen, so wenig wie möglich erzählt haben - und May werden nicht in die Behörde bestellt, es kommt auch niemand zu uns, um Vern zu befragen. Doch in den folgenden vier Wochen werden Sam und ich - oft gemeinsam, damit ich für meinen Mann übersetze, da wir von Special Agent Sanders an Agent Mike Billings übergeben wurden, der für die Einwanderungsbehörde arbeitet, kein einziges Wort in einem chinesischen Dialekt spricht und ungefähr so freundlich ist wie der Vorsitzende Plumb vor all den
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