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Toechter Aus Shanghai

Titel: Toechter Aus Shanghai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa See
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Jahren auf Angel Island - zu zahllosen Verhören vorgeladen. Ich werde nach meinem Heimatdorf gefragt, wo ich nie gewesen bin. Sam wird gefragt, warum seine sogenannten Eltern ihn mit sieben Jahren in China zurückgelassen hätten. Wir werden nach Vater Louies Geburt befragt. Mit herablassendem
Grinsen will man von uns wissen, ob wir jemanden kennen, der mit dem Verkauf von Plätzen für Papiersöhne Geld verdient habe.
    »Irgendjemand muss davon profitiert haben«, sagt Billings wissend. »Sagen Sie uns einfach, wer es war.«
    Unsere Antworten helfen ihm nicht weiter. Wir sagen ihm, wir hätten im Krieg Alufolie gesammelt und Kriegsanleihen verkauft. Wir sagen ihm, dass ich Madame Chiang Kai-shek die Hand geschüttelt hätte.
    »Haben Sie ein Foto als Beweis?«, fragt Billings, aber so viele Bilder wir an dem Tag auch gemacht haben, davon gibt es keins.
    Anfang August ändert Billings die Richtung. »Wenn Ihr vorgeblicher Vater wirklich hier geboren wurde, warum hat er dann immer wieder Geld nach China geschickt, selbst als er es nicht mehr durfte?«
    Ich warte Sams Antwort nicht ab, sondern erwidere selbst: »Das Geld ging an das Dorf seiner Ahnen. Seine Familie lebt dort seit fünfzehn Generationen.«
    »Und deshalb hat Ihr Mann weiterhin Geld außer Landes geschickt?«
    »Wir tun, was wir können, für unsere Verwandten, die an einem schlechten Ort eingesperrt sind«, übersetze ich für Sam.
    Da kommt Billings um den Tisch herum, zieht Sam an den Aufschlägen halb hoch und schreit ihm ins Gesicht: »Geben Sie es zu! Sie haben Geld geschickt, weil Sie ein Kommunist sind!«
    Diesen Satz muss ich nicht übersetzen, denn Sam versteht, was der Mann sagt, doch ich tue es trotzdem mit derselben ruhigen Stimme, die ich die ganze Zeit benutzt habe, um zu zeigen, dass nichts, was Billings sagt, uns von unserer Geschichte, unserer Selbstsicherheit, unserer Wahrheit abbringen kann. Aber plötzlich springt Sam auf - er ist nicht mehr derselbe, seit Joy sich über seine Kochkünste und sein Englisch lustig gemacht hat, er kann nicht mehr richtig schlafen, seitdem Agent Sanders in Pearl’s Café kam -, zeigt auf Billings’ Gesicht und nennt den Agenten einen
Kommunisten. Dann geht es hin und her - Nein, Sie sind ein Kommunist! - Nein, Sie sind ein Kommunist! - und ich sitze dazwischen und wiederhole die Anschuldigungen in beiden Sprachen. Billings wird immer wütender, doch Sam ist beharrlich und standfest. Schließlich presst Billings die Lippen aufeinander, lässt sich auf seinen Stuhl fallen und funkelt uns böse an. Er hat keine Beweise gegen Sam, genau wie Sam keine Beweise gegen ihn hat.
    »Wenn Sie nicht gestehen wollen«, sagt er, »und wenn Sie nicht sagen wollen, wer in Chinatown die falschen Papiere verkauft hat, dann können Sie uns ja vielleicht ein bisschen über Ihre Nachbarn erzählen.«
    Gelassen zitiert Sam ein Sprichwort, das ich übersetze: »Kehre den Schnee vor deiner eigenen Tür, und kümmere dich nicht um das Eis auf dem Haus der anderen.«
    Wir scheinen die Oberhand zu bekommen, doch beim Kämpfen und Ringen gewinnen dünne Arme nicht über dicke Beine. Das FBI und die INS befragen Onkel Wilburt und Onkel Charley, die sich weigern, etwas zu gestehen, über uns zu sprechen oder Vater Louie zu verraten, der ihnen ihre Papiere verkauft hat. Wer den ertrinkenden Hund nicht unter Wasser drückt, gehört schon zu den Anständigen.
    Als am Sonntag Onkel Fred mit seiner Familie zum Essen zu uns kommt, bitten wir Joy, die kleinen Mädchen zum Spielen mit nach draußen zu nehmen, damit er uns von Agent Billings’ Besuch bei ihm zu Hause in Silver Lake berichten kann. Freds Aufenthalt in der Armee, seine Jahre am College und die Zahnarztpraxis haben seinen Akzent so gut wie ausgelöscht. Er hat ein gutes Leben mit Mariko und den Halb-halb-Töchtern. Sein Gesicht ist voll und rund, er hat einen kleinen Bauch.
    »Ich habe ihm gesagt, dass ich Veteran bin, dass ich in der Armee gedient und für die Vereinigten Staaten gekämpft habe«, berichtet er. »Er sah mich an und meinte: ›Und Sie haben die Staatsbürgerschaft bekommen.‹ Klar, natürlich habe ich sie bekommen! Das hatte die Regierung ja versprochen. Dann holte er
eine Akte hervor und bot mir an, einen Blick darauf zu werfen. Es war meine Einwanderungsakte von Angel Island! Erinnert ihr euch noch an den ganzen Kram aus den Handbüchern? Also, das stand alles in der Akte. Darin sind Informationen über den Alten Herrn und Yen-yen. Es sind all unsere

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