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Toechter Aus Shanghai

Titel: Toechter Aus Shanghai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa See
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stehen ein paar Blechschüsseln und -tassen.
    May lässt mich los und geht den Mittelgang hinunter. Sie nimmt zwei obere Betten neben der Heizung in Beschlag, klettert hinauf, legt sich hin und schläft sofort ein. Keiner bringt uns unser Gepäck. Wir haben nur die Kleider, die wir am Körper tragen, und unsere Handtaschen.
     
    Am nächsten Morgen machen May und ich uns zurecht, so gut es geht. Die Wachmänner klären uns darüber auf, dass wir zu einer Anhörung vor den Untersuchungsausschuss müssen, aber die Frauen im Schlafsaal bezeichnen es als Verhör. Allein das Wort klingt bedrohlich. Eine Frau meint, wir sollten kaltes Wasser trinken, um unsere Angst zu mildern, doch ich habe keine
Angst. Wir haben nichts zu verbergen, es ist eine reine Formalität.
    Mit einer kleinen Gruppe von Frauen werden wir in einen Raum gedrängt, der aussieht wie ein Käfig. Wir setzen uns auf die Bänke und schauen uns gedankenvoll an. Bei uns in China gibt es einen Ausdruck dafür - Bitternis schlucken. Ich sage mir, wie auch immer diese Anhörungen verlaufen, es kann auf keinen Fall so schlimm sein wie die ärztliche Untersuchung, und es kann nicht so schlimm sein wie das, was May und mir Tag um Tag zugestoßen ist, seit Baba verkündete, dass er Ehen für uns arrangiert hat.
    »Erzähl ihnen, was ich dir gesagt habe, dann wird alles gut«, flüsterte ich May zu, während wir in dem Käfig warten. »Dann können wir weg von hier.«
    Sie nickt nachdenklich. Als May von den Wachen aufgerufen wird, verschwindet sie in einem Raum, und die Tür schließt sich hinter ihr. Kurz darauf winkt mich der Wachmann in einen anderen Raum. Ich setze ein künstliches Lächeln auf, streiche mir das Kleid glatt und versuche beim Eintreten zuversichtlich zu wirken. Zwei weiße Männer - einer hat fast schon eine Glatze, der andere trägt einen Schnurrbart, beide haben Brillen auf - sitzen hinter einem Tisch in einem fensterlosen Raum. Sie erwidern mein Lächeln nicht. An einem seitlichen Tisch poliert ein anderer Wei ßer geflissentlich die Tasten seiner Schreibmaschine. Ein Chinese in einem schlecht sitzenden Anzug liest eine Akte, die er in der Hand hält, sieht mich an und dann wieder in seine Akte.
    »Sie wurden also im Dorf Yin Bo geboren«, sagt er zu mir auf Sze Yup und reicht die Akte dem Glatzköpfigen. »Ich freue mich, mit Ihnen im Dialekt der Vier Bezirke sprechen zu können.«
    Bevor ich darauf hinweisen kann, dass ich Englisch spreche, sagt der Glatzkopf: »Sagen Sie ihr, sie soll sich setzen.«
    Der Dolmetscher deutet auf einen Stuhl. »Mein Name ist Louie Fon«, fährt er auf Sze Yup fort. »Ihr Mann und ich haben den gleichen Clannamen und stammen aus demselben Bezirk.«
Er setzt sich links von mir. »Der Glatzkopf vor Ihnen ist der Vorsitzende Plumb. Der andere ist Mr. White. Das Protokoll führt Mr. Hemstreet. Ihn müssen Sie nicht weiter beachten...«
    »Na los, fangen wir an«, unterbricht der Vorsitzende Plumb. »Fragen Sie...«
    Zuerst läuft es gut. Ich kann Tag und Jahr meiner Geburt sowohl in der westlichen Zeitrechnung wie nach dem Mondkalender angeben. Sie fragen nach dem Namen des Dorfes, in dem ich geboren wurde. Dann nenne ich das Dorf, in dem Sam geboren wurde, und den Tag unserer Hochzeit. Ich gebe die Adresse in Los Angeles an, wo Sam und seine Familie wohnen. Und dann …
    »Wie viele Bäume stehen vor dem Haus Ihres vorgeblichen Ehemanns in seinem Heimatdorf?«
    Als ich nicht sofort antworte, starren mich vier Augenpaare an - neugierig, gelangweilt, triumphierend, höhnisch.
    »Vor dem Haus stehen fünf Bäume«, antworte ich, nachdem mir eingefallen ist, was in dem Handbuch stand. »Auf der rechten Seite sind keine Bäume. Links wächst ein Ginkgo.«
    »Und wie viele Zimmer hat das Haus, in dem Ihre eigene Familie wohnt?«
    Ich habe mich so auf die Antworten in Sams Handbuch konzentriert, dass ich gar nicht in Betracht gezogen habe, derart detaillierte Fragen über mich selbst beantworten zu müssen. Ich überlege, wie die richtige Antwort wohl lauten müsste. Zählen die Badezimmer mit oder nicht? Meint er, bevor oder nachdem die Räume für die Mieter geteilt wurden?
    »Sechs große Zimmer...«
    Bevor ich das näher ausführen kann, fragen sie, wie viele Gäste bei meiner »vorgeblichen« Hochzeit gewesen seien.
    »Sieben«, antworte ich.
    »Gab es für Sie und Ihre Gäste etwas zu essen?«
    »Es gab Reis und dazu acht Gerichte. Es war ein Essen im Hotel, kein Bankett.«
    »Wie war der Tisch gedeckt?«

    »Im

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