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Toechter Aus Shanghai

Titel: Toechter Aus Shanghai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa See
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hätten keine Betelnüsse und keinen Tee serviert, aber Ihre Schwester behauptet das Gegenteil«, sagt der
Vorsitzende Plumb und tippt auf eine weitere Akte, die wahrscheinlich Mays Fall enthält.
    Während ich den glatzköpfigen Mann vor mir betrachte und darauf warte, bis der Dolmetscher fertig ist, frage ich mich, ob das wohl ein Trick ist. Weshalb sollte May so etwas aussagen? Unmöglich.
    »Weder meine Schwester noch ich haben Tee oder Betelnüsse gereicht.«
    Das ist nicht die Antwort, die die beiden Männer hören wollen. Lan On Tai sieht mich mit einer Mischung aus Mitleid und Verärgerung an.
    Der Vorsitzende Plumb fährt fort: »Sie haben gesagt, Sie hätten standesamtlich geheiratet, aber Ihre Schwester sagt, keine von Ihnen trug einen Schleier.«
    Ich weiß nicht, ob ich mich über May oder mich ärgern soll, weil wir unsere Geschichten nicht sorgfältiger abgeglichen haben, oder ob ich mich fragen soll, aus welchem Grund das alles wichtig sein soll.
    »Wir haben standesamtlich geheiratet«, sage ich, »aber keine von uns trug einen Schleier.«
    »Haben Sie bei dem Hochzeitsessen Ihren Schleier gehoben?«
    »Ich habe doch bereits gesagt, dass ich keinen getragen habe.«
    »Warum behaupten Sie, es seien nur sieben Gäste bei dem Essen gewesen, während Ihr Mann, Ihr Schwiegervater und Ihre Schwester sagen, in dem Raum seien viele Tische besetzt gewesen?«
    Mir wird übel. Was ist hier los?
    »Wir waren eine kleine Gesellschaft in einem Hotelrestaurant, wo auch andere Gäste gespeist haben.«
    »Sie haben ausgesagt, das Haus Ihrer Familie hätte sechs Zimmer, aber Ihre Schwester sagt, es wären viel mehr, und Ihr Ehemann meinte, das Haus sei sehr prächtig.« Mit puterrotem Gesicht fragt der Vorsitzende Plumb: »Warum lügen Sie?«
    »Man kann die Zimmer auf unterschiedliche Weise zählen, und mein Mann...«

    »Noch einmal zu Ihrer Hochzeit. Fand das Festmahl im Erdgeschoss oder oben statt?«
    Und so geht es weiter: Bin ich nach der Hochzeit mit dem Zug gefahren? Habe ich ein Schiff genommen? Habe ich mit meinen Eltern in einem Reihenhaus gewohnt? Wie viele Häuser standen zwischen unserem Haus und der Hauptstraße? Woher wolle ich wissen, ob ich nach dem alten oder dem neuen Brauch geheiratet hätte, wenn ich eine Heiratsvermittlerin hatte und keinen Schleier trug? Warum sprechen meine vorgebliche Schwester und ich nicht den gleichen Dialekt?
    Volle acht Stunden dauert die Befragung - ohne Pause zum Essen oder um auf die Toilette zu gehen. Am Ende hat der Vorsitzende Plumb ein rotes Gesicht und ist müde. Als er dem Protokollanten die Zusammenfassung diktiert, koche ich innerlich, so frustriert bin ich. Jeder zweite Satz beginnt mit: »Die vorgebliche Schwester der Bewerberin gibt an...« Unter Umständen kann ich noch verstehen, dass meine Antworten anders aufgefasst werden können als die von Sam oder dem Alten Herrn Louie, aber wie kann es sein, dass sich Mays Aussage so stark von meiner unterscheidet?
    Der Dolmetscher zeigt keine Regung, als er das Schlusswort des Vorsitzenden Plumb übersetzt: »Offensichtlich gibt es mehrere Widersprüche, die es nicht geben sollte, insbesondere das Wohnhaus betreffend, das die Bewerberin mit ihrer vorgeblichen Schwester bewohnte. Während die Bewerberin die Fragen über das Heimatdorf ihres vorgeblichen Ehemanns adäquat beantwortet, scheint ihre vorgebliche Schwester nicht das geringste Wissen über ihren Ehemann, seine Familie oder den Familienwohnsitz zu haben, weder in Los Angeles noch in China. Daher hat der Ausschuss die einstimmige Meinung gefasst, diese Bewerberin ebenso wie ihre vorgebliche Schwester erneut vorzuladen, bis die Widersprüche aufgelöst werden können.« Dann schaut mich der Dolmetscher an. »Haben Sie alle Fragen verstanden?«

    Ich antworte mit »Ja«, bin aber wütend - auf diese schrecklichen Männer und ihre hartnäckigen Fragen, auf mich, weil ich mich nicht klüger angestellt habe, doch am allermeisten auf May. Ihre Faulheit ist die Ursache dafür, dass wir noch länger auf dieser scheußlichen Insel bleiben müssen.
    Als ich aus dem Anhörungsraum komme, ist May nicht im Wartekäfig. Ich muss dort sitzen bleiben und auf eine andere Frau warten, deren Befragung ebenfalls nicht gut gelaufen ist. Nach einer weiteren Stunde wird die Frau aus ihrem Anhörungsraum gezerrt. Der Käfig wird aufgeschlossen, und der Wachmann bedeutet mir mitzukommen, aber wir kehren nicht zum Schlafsaal im ersten Stock des Verwaltungsgebäudes zurück.

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