Toechter der Dunkelheit
vielleicht, weil Inani ihrer Tochter den Triumph gestohlen hatte. Auch Abscheu und Misstrauen funkelte in vielen Augen, sodass Inani die ihren irgendwann schloss und nur noch wartete, wartete, dass es vorüber ging.
~*~
Sie kam erst wieder zur Besinnung, als sie kühlen Wind auf der Haut spürte. Jemand hatte sie nach draußen ins Freie geführt, wo mehrere Feuer hell loderten und alle Hexen sich versammelten, um die Karr zu feiern, die Nacht der Göttin.
„Geht es dir gut, Liebes? Du bist bleich wie Pya selbst.“ Alanée stand neben ihr und lächelte sie besorgt an. Ohne nachzudenken blickte Inani hoch zum nachtdunklen Himmel. Der Mond, das Auge der Göttin, wie er genannt wurde, hing dort, groß und vollendet gerundet, in elfenbeinweißer Pracht. Die Sternbilder, die sie kannte, suchte das Mädchen allerdings vergebens. Der Himmel über ihr war so fremd, dass sie es jetzt wahrhaftig begriff: Sie war in einer anderen Welt, fern von daheim.
„Mir geht es gut. Wo ist meine Mutter?“
„Du wirst sie bald wiedersehen, sie ist gerade bei Kythara. Komm, du musst etwas essen!“
Zu jedem anderen Zeitpunkt hätte Inani die Augen nicht von den Hexen lassen können, hätte gierig verfolgt, wie diese zu Flötenmusik und Trommeln tanzten. Magische Ströme erfüllten die Luft, überall sah sie Raubkatzen, Schlangen und Vögel, die sich eng an einige der Frauen schmiegten. Aber im Moment war ihr Verstand so übersättigt, ihr Körper so erschöpft, dass nur ein einziger Gedanke Inani erfüllte: Nach Hause! Ich will nach Hause!
Alanée zog das Mädchen jedoch unerbittlich hinter sich her. Ihr silbernes Haar leuchtete im Schein der Flammen, es schien ihr wie ein Irrlicht, dem Inani folgen musste, ob sie wollte oder nicht.
In einer der kleinen Hütten am Rand der Lichtung standen Tische bereit, überfüllt mit Schüsseln und Tellern köstlich duftender Speisen. Alanée füllte einen Holzbecher, drückte ihn in Inanis Hände und zwang sie, sich auf eine Bank zu setzen und zu trinken.
„Danach wirst du dich wohler fühlen“, sagte sie lachend. Inani hatte bereits die Hälfte der farblosen Flüssigkeit geschluckt, als sie begriff, dass dieses Lachen keineswegs freundlich war. Spott leuchtete aus Alanées Augen. Der Becher fiel aus Inanis Hand, sie sprang auf, suchte gehetzt nach einem Fluchtweg. Hitze explodierte in ihrem Leib, die Beine
knickten unter ihr weg, zu schwach, um ihren Körper noch tragen zu können. Zwischen Angst und höchstem Zorn zerrissen – wie konnte Alanée es wagen, sie zu verraten! – kämpfte sie gegen die Dunkelheit, die sie zu verschlingen drohte. Sanfte Hände drehten sie auf den Rücken, sie sah Alanées Gesicht über sich.
„Kämpfe nicht dagegen an, es wird dir nichts geschehen! Du begegnest gleich der Göttin. Dafür musst du nun einmal diese Welt verlassen. Sei unbesorgt, du wirst wohlbehalten zu den Lebenden zurückkehren.“ Die Worte drangen aus unendlicher Ferne an Inanis Ohr. Sie spürte kaum die Hände der Frauen, die sie hochhoben und zum Feuer trugen. Zitternd wehrte sie sich, versuchte, ihre Magie zu erwecken, um mit deren Hilfe wach bleiben zu können, doch sie war zu schwach, viel zu schwach.
Nie wieder werde ich arglos trinken, was man mir reicht, selbst wenn es aus der Hand meiner Mutter stammt!
„Pya, ist die stur! Sieh, wie die Kleine kämpft!“, hörte Inani eine dunkle Stimme. War das Kythara? Ihre Sicht war verschleiert, dennoch wusste sie, dass sie hilflos ausgeliefert am Boden lag, umringt von hunderten Hexen, die nur darauf warteten, dass sie ihren Kampf endlich verlor. Was würde dann geschehen? Würde sie wahrhaftig sterben?
Ein Körper wurde neben ihr abgelegt: Corin war ebenfalls betäubt worden, doch sie wehrte sich nicht mehr, lag in stiller Bewusstlosigkeit da, das Gesicht zu Inani gewandt.
„KOMM ZU MIR, KÄMPFE NICHT LÄNGER!“
Ein alles überwältigendes Bewusstsein erfüllte gewaltsam Inanis Gedanken.
„Pya ...“ Sie ließ sich davontragen von dunklen Schwingen.
„DU BIST MIR GEWEIHT.“
Vollkommene Finsternis legte sich um Inanis Seele. Es war eine ruhige, wärmende Dunkelheit, durchdrungen von einer fernen, kaum hörbaren Melodie. Geborgen in dieser pulsierenden Macht wie im Schoß ihrer Mutter, ließ Inani sich fallen, öffnete all ihre Sinne für die Göttin.
„ICH ERWARTE GROSSES VON DIR, INANI, DENN GROSS SIND DIE
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