Toechter der Dunkelheit
Licht brachten die Welt zum Blühen. Gemeinsam brachten sie den Segen magischer Kräfte.“
„Es gibt noch mehr Legenden, Shora, erzähl ihr davon!“, drängte Alanée. Für einen Herzschlag maßen die Frauen sich in stummem Kampf, dann nickte Shora.
„Es heißt, dass die Instrumente, Pyas Flöte und Tis Trommel, bei ihrem Kampf zerstört wurden und die Einzelteile in der Unendlichkeit verstreut. Dort, wo sie auf Welten trafen, wurden magische Wirbelstürme entfacht. So etwas soll an der Stelle geschehen sein, wo Roen Orm gegründet wurde – manche sagen, davor schon, andere sagen, es war, als die Stadt bereits stand. Das mag sein oder auch nicht, jedenfalls bewacht diese Stadt einen Weltenstrudel, einen Zugang zu vielen anderen Welten.“
„Manche sagen, dass die Splitter zusammengefügt werden müssen, um die Instrumente neu entstehen zu lassen. Wegen dieser Legende sind viele Abenteurer in den Strudel gegangen. Ob einer von ihnen überlebt hat, weiß niemand.“
Inani setzte zu einer Antwort auf Alanées Erzählung an, doch in diesem Moment schrie draußen jemand, schrill, hysterisch.
„Inaniiiiii! Du hast das getan, du warst es!“
Alanée, Shora und Inani starrten einander an, sahen das eigene Entsetzen in den bleichen Gesichtern der anderen gespiegelt.
Wildes Schluchzen wurde vor der Tür der Hütte laut, Fäuste hämmerten gegen das dünne Holz.
Inani schloss einen kurz die Augen, dann erhob sie sich langsam.
Das ist nicht gut, das ist gar nicht gut …
7.
„Es mag schlimmere Schicksale geben, denn als zweitgeborener Sohn des Königshauses von Roen Orm zur Welt zu kommen. Der Erstgeborene zum Beispiel, er stirbt meist noch früher.“
Zitat aus „Der Ruf des Korabal“, Komödie von Shila von Erten
Tropfnasse Wälder, das Flügelpferd verbirgt sich im Schatten der hohen Bäume. Die kleine Nola, sie ist ihm fremd, zwei, die nicht zusammengehören, dennoch will es zu ihr … Doch sie ist voller Angst, wie gelähmt … Die Nalla hält ihr Fohlen … Und der Loy an ihrer Seite ist nicht ihr Feind.
P’Maondny zuckte zusammen. Mitten in ihre Vision von der Begegnung zwischen einer Frau aus dem Volk der Nola und einem der zur Legende gewordenen Flügelpferde drängte sich ein neues Bild. So etwas geschah für gewöhnlich nur, wenn große Ereignisse das Schicksal der Welt abrupt veränderten, der gesamte Zeitenstrom umgelenkt wurde. Wachsam betrachtete sie die neue Vision: Ein junger Mann, der in Ketten an einer Kerkerwand hing. Er war bis auf die Knochen ausgezehrt. Einzig das Blut, das aus den zahllosen Striemen und Schnitten auf seiner Haut hervor sickerte, und die langsamen, qualvollen Atemzüge bewiesen, dass er tatsächlich lebte. Seine grauen Augen starrten ins Leere, das blonde Haar hing nass verschwitzt in seine von Schmerz zerfurchte Stirn.
Wie seltsam … Die Farbe des Zeitenstroms stimmt nicht. Aufmerksam forschte sie nach: Der Mann befand sich bereits seit Monaten in diesem Kerker. Er hatte weder die Kraft noch Gelegenheit, das Schicksal zu verändern. Und das Seltsamste: Es war keine Vision der Zukunft, die Maondny hier betrachtete, sondern die Gegenwart.
Stirnrunzelnd drängte sie diesen Anblick zur Seite. Wenn der Mensch wirklich bedeutsam wäre, hätte sie sein Schicksal schon vor vielen Jahren gesehen.
Ich muss erschöpft sein. Das Sterben irgendeines Mannes, dazu ein Mensch, sollte mich nicht aus dem Zeitenfluss holen. Doch hartnäckig schob sich sein Bild vor das innere Auge der Elfe. Gereizt brach sie aus ihrer Trance aus und kehrte zurück in die wahre Welt.
Um sie herum war es dämmrig und still, dünne, blattlose Baumzweige rankten über ihr. Eine ganze Weile musste sich Maondny besinnen, wo sie sich eigentlich befand, bis sie sich erinnerte.
Vor einigen Wochen war die Sippe in ein stilles Tal umgesiedelt.
Man hatte dort begonnen, Bäume zu Wohnhäusern umzuformen, ohne sie dabei zu beschädigen oder gar zu töten. Die behutsamen magischen Arbeiten kosteten Zeit und viel Kraft. Ein solcher Aufwand wurde nur begonnen, wenn eine Siedlung für lange Zeit gehalten werden sollte.
Hm. Ich habe keinen Hunger, bin nicht müde … Verwirrt erhob sie sich von ihrem Lager aus Blättern und Farnen und blickte zwischen den Ästen hindurch in den dämmrigen Morgenhimmel. Ungerufen kehrte die Vision zurück und riss Maondny gewaltsam in die Trance – etwas, das ihr seit frühester Kindheit nicht mehr widerfahren war.
Schluss jetzt! , knurrte sie
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