Toechter der Dunkelheit
Gefühl von Gefahr hatte sie aus ihren ewig währenden Träumen gerissen. Orientierungslos starrte sie um sich.
Wo bin ich? Himmelhohe Bäume ragten über ihr auf, sie war völlig allein. Mühsam erinnerte sie sich, einen Spaziergang in der Nähe der Siedlung begonnen zu haben, um die Umgebung kennen zu lernen. Das musste schon lange her sein. Erschöpfung und vernichtender Durst quälten sie. Ob es die Gefahr, an Schlaf- und Wassermangel zu sterben gewesen war, die sie hochgetrieben hatte? Es wäre keineswegs das erste Mal. Schwankend raffte sie sich auf, zwang ihren ausgezehrten Körper, sich zu bewegen. Probeweise griff sie nach ihrer Magie und versuchte, mit ihren Kräften nach Wasser zu suchen. Aber selbst dafür war sie zu schwach. Panik ergriff sie, als ihr klar wurde: Sie war innerlich blind, abgeschnitten von ihrer visionären Zeitenwelt. Gestrandet in der Wirklichkeit. So weit war es doch noch nie mit ihr gekommen!
Mutter , wimmerte sie geistig. Zitternd stolperte Maondny zwischen den dichten Stämmen dahin, taumelte immer wieder zu Boden. Warum hatte niemand nach ihr gesucht? Die Sippe hatte bislang jedes Mal jemanden geschickt, der sie rechtzeitig zurückholte, wenn sie sich in ihrer Trance zu verlieren drohte.
Plötzlich trat sie ins Leere und stürzte einen Abhang hinab. Schreiend suchte sie Halt, stieß schmerzhaft gegen Bäume, rutschte durch Gestrüpp und Farne. Dann Kälte, Dunkelheit, ein harter Aufprall. Sie war in einen Fluss gefallen. Eisiges Wasser schlug über ihr zusammen.
Mutter, hilf …
~*~
Thamar trieb verzweifelt sein Pferd an. Das Tier war nass vor Schweiß, Schaumflocken lösten sich von seinem Maul. Die Rufe seiner Verfolger hallten hinter ihm, viel zu nahe. Vor einigen Wochen hatten Freunde und Palastbedienstete ihn aus dem Gefängnis befreit und so vor dem sicheren Tod gerettet.
Über mehrere Tage hinweg hatte man seinen gefolterten Körper von einem Versteck zum nächsten getragen, auf der Flucht vor dem Zorn des Thronprinzen. Ilat hatte Dutzende Sonnenpriester dazu getrieben, mit ihrer Magie nach Thamar zu suchen, wie man ihm später berichtete; warum er dennoch nicht gefunden wurde, wusste niemand. Vielleicht hatten die Sonnenpriester ihre eigenen Gründe, die Suche halbherzig zu führen, vielleicht waren die falschen Fährten und Listen, die Thamars Helfer nutzten, zu schwer durchschaubar. Tatsache blieb, ihm gelang die Flucht. Nur mühsam gewann er dabei den Kampf gegen den Tod. Die wochenlange Folter hatte ihn an Körper und Geist nahezu vernichtet. Sobald er stark genug war, schmuggelten seine Verbündeten ihn aus Roen Orm heraus und verbargen ihn in Schlupflöchern. Mal war es eine Bauernkate, mal der Keller eines Bürgerhauses in einer kleinen Stadt, wo er ein oder zwei Tage verbringen durfte, um weiter zu Kräften zu kommen. Wichtig war, in Bewegung zu bleiben, denn Ilat zeigte mehr Ehrgeiz bei der Verfolgung seines jüngeren Bruders als ihm jemals jemand zugetraut hatte. Trotz aller Vorsicht war Thamar schließlich doch entdeckt oder verraten worden. Um seine Verbündeten zu schützen, war Thamar auf das nächstbeste Pferd gesprungen und allein geflohen, hinein in die Wälder. Angst und Zorn hatten ihn vorangetragen und einen guten Vorsprung gesichert. Aber jetzt war er am Ende seiner Kraft angelangt, sein Pferd, keineswegs ein starkes Kriegsross, lahmte, und seine Feinde kamen immer näher.
Nun gilt es! Thamar ließ sich vom Rücken des Hengstes fallen, als er sicher war, von einer Wegbiegung vor allen Blicken geschützt zu sein und rollte so schnell wie möglich unter dichte Sträucher. Das Pferd verhielt im Schritt, suchte verwirrt nach seinem Reiter.
„Lauf!“, zischte er und schlug mit einem Ast nach den Fesseln des Tieres. Erschrocken wieherte es auf und preschte davon, schneller nun, nachdem es seine Last endlich verloren hatte. Nur wenige Momente später jagten die Verfolger an Thamars Versteck vorbei.
„Die wäre ich vorerst los“, murmelte er. Ein Blick in den Himmel zeigte allerdings, dass er keineswegs in Sicherheit war: Die Nacht brach herein, es sah nach Regen aus, und er hatte nicht die geringste Ahnung, wo er sich gerade befand. Eine Weile kämpfte er mit sich. Er wünschte sich sehnlichst, einfach liegen zu bleiben, zu ruhen, zu vergessen. Schließlich gewann jedoch sein Verstand. Er würde in diesem Gestrüpp sterben, wenn er hier seiner Schwäche nachgab.
Erschöpft folgte Thamar dem schmalen Pfad, der sich als Wildwechsel zu
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