Toechter der Dunkelheit
zornigen Frauen, auf die Hände, die ihr eine Kyphra entgegenstreckten.
Ihre eigene Schlange. Ihr Seelenvertrauter.
Noch verwirrter nahm sie die Kyphra an sich und streichelte langsam über den Kopf des höchst aufgeregten Reptils. Sie spürte Wut und Angst, als sie sich den Gedanken ihres Vertrauten öffnete. Die Kyphra wand sich ruhelos, zischte die Hexen warnend an.
Eine Hand legte sich auf Inanis Schulter, hilfesuchend blickte sie zu ihrer Mutter auf.
„Was werft ihr meiner Tochter vor?“, fragte Shora. Ihre Stimme war beherrscht, kühl, doch Inani spürte das leise Zittern von Shoras Händen. Auch sie war wütend und angespannt, und ebenso bereit, für Inani zu kämpfen, sie zu beschützen, wie die Kyphra es war.
„Verflucht, sie hat ihre Schlange auf meine Taube gehetzt!“, kreischte Corin. Inani sah den Schlag kommen, aber statt auszuweichen, drehte sie sich lediglich so, dass ihr Vertrauter nicht in Corins Hand beißen konnte. Die schallende Ohrfeige hörte sie zwar, der Schmerz wollte allerdings nicht durch den Nebel dringen, der ihr Bewusstsein einhüllte. Betäubt sah sie zu, wie die Hexen um sie zu streiten begannen, Anschuldigungen, Schläge prasselten auf sie nieder, während Shora und Alanée versuchten, sie mit ihren eigenen Körpern zu schützen.
Irgendwann fand sie sich auf dem Boden kauernd wieder, die Schlange nach wie vor an sich gepresst. Ihre Mutter und Alanée standen vor ihr, beide von blauen Magiefunken umgeben. Atemlos richtete das Mädchen sich auf, starrte in die fassungslosen Gesichter der Hexen, die von Shoras und Alanées Magie zurückgeworfen worden waren. Erst jetzt erinnerte sie sich daran, den Ausläufer der Energiewelle gespürt zu haben.
„Es ist verboten, die eigenen Schwestern anzugreifen!“, brüllte jemand.
„Ganz Recht. Ihr habt angefangen. Diese beiden haben sich und Inani verteidigt. Seid zufrieden, dass Shora nicht zu anderen Mitteln gegriffen hat, ich hätte sie gebilligt!“
Kytharas Stimme flammte vor Zorn, ihr schwarzer Mantel flatterte hinter ihr, als sie mit raumgreifenden Schritten auf die versammelten Hexen
zueilte. Hinter ihr folgten verwirrte Frauen und Mädchen, angelockt von dem Geschrei.
„Bist du verletzt?“ Inani blickte zu ihrer Mutter auf, die besorgt nach ihr griff. Kühle Finger streichelten über ihr Gesicht, und erst jetzt kam der Schmerz, brennend, dumpf, glühend, je nachdem, ob gespitzte Fingernägel oder Fäuste ihren Körper getroffen hatten. Trotzdem schüttelte Inani den Kopf.
„Corin, Ylanka, Shora und Inani, ihr kommt mit in das Versammlungshaus. Das will ich sofort geklärt wissen! Bring deine Schlange mit, Inani.“ Kythara stürmte voran, die Menge teilte sich vor ihr und ihrer gnadenlosen Wut.
Das Mädchen betrachtete noch einmal die Gesichter der Hexen, als sie an ihnen vorüberschritt. Mit seltsamer Klarheit nahm sie wahr, welche von ihnen eine Feindin war und wer nur von allgemeiner Empörung mitgerissen wurde. Arina zum Beispiel, die alle Junghexen über die Gesetze, Sitten und Legenden verschiedener Herrschaftsbereiche und Völker unterrichtete, schien eher erschrocken als wütend zu sein. Ylanka und deren Freundinnen Naliama und Kyelle hingegen zeigten Hass und Verachtung ganz offen. Noch gefährlicher aber schien Inani der Triumph zu sein, den sie wie einen fremdartigen Duft wahrnahm. Irgendjemand war hochzufrieden über das, was geschehen war, doch so sehr sie sich auch bemühte, sie konnte nicht herausfinden, wer diejenige sein mochte.
„Hast du deinen Vertrauten auf Corins Taube angesetzt?“, fragte Kythara ohne Umschweife, kaum, dass sie auf ihrem Thron Platz genommen hatte.
„Nein, Herrin.“ Inani schüttelte den Kopf, sie hielt dem prüfenden Blick der Königin mühelos stand. Der Schleier, der zuvor jeden Gedanken verhüllt, jede Bewegung verzögert hatte, war endlich gewichen, stattdessen schien nun alles in doppelter
Geschwindigkeit zu geschehen. Ihr Verstand raste, ihre Wahrnehmung war von glasklarer Brillanz. Sie konnte ihre wild umherspringenden Gedanken kaum einfangen.
„Du lügst!“, kreischte Corin sofort, doch ihre eigene Mutter brachte sie mit einem Schlag ins Gesicht zum Schweigen.
Entsetzt bemerkte Inani, dass Corin weder zusammenzuckte noch überrascht zu sein schien.
„Tritt näher, Inani.“
Gehorsam kniete sie vor Kytharas Thron nieder. Die Würgeschlange blieb wachsam, züngelte unruhig, der Kopf ruhte auf Inanis rechter Schulter, der schwere, dunkelgrüne Leib war um
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