Toechter der Dunkelheit
Glücklich umarmte Inani die Raubkatze, suchte Halt an dem kraftvollen Körper und dem Geist, der sie willkommen hieß, ohne jede Bedingung, ohne Hintergedanken oder Besitzansprüche. Die Kyphra züngelte misstrauisch, ihr Kopf pendelte langsam hin und her, während sie den Panther anstarrte. Für gewöhnlich würden diese beiden Tiere einander aus dem Weg gehen – im besten Fall; doch als Inanis Gefährten akzeptierten sie die Nähe des jeweiligen Feindes.
Unbemerkt von dem ungewöhnlichen Trio erhob sich ein Rabe aus der Krone einer nahen Linde und flog zielstrebig in den schwindenden Nebel hinein.
Sie hat ein ehernes Gesetz gebrochen, dachte Kythara traurig. Niemals hätte Inani sich aus dieser Welt entfernen dürfen, ohne um Erlaubnis zu bitten oder von einer ausgebildeten Hexe begleitet zu werden.
Es war ohne Absicht, doch Unwissen schützt nicht vor Strafe …
11.
„Vertraue, auch wenn du mich fürchtest. Du wirst sterben, wenn du mir nicht vertraust.“
Zitat, überliefert aus den Friedensverhandlungen zwischen Nokre und Shilauty, Anführer zweier Loy-Stämme
Als Thamar zu sich kam, fand er sich am Boden liegend wieder. Um ihn herum war es dunkel, und nur langsam erwachten seine Sinne. Noch immer befand er sich im Wald, erkannte er. Thamar spürte Bewegungen um sich herum und hörte leise, zornige Stimmen. Er erstarrte, als er erkannte, in welcher Sprache sie miteinander stritten: Er lag einer Gruppe Elfen zu Füßen! Nun erinnerte er sich an alles, was geschehen war. Offenbar hatte seine Bewusstlosigkeit bloß wenige Augenblicke lang gedauert, auch wenn es sich für seinen von hämmernden Schmerzen gepeinigten Kopf anfühlte, als wären es gleich mehrere Zeitalter gewesen. War dies sein Ende? Er wagte nicht zu atmen, versuchte, seine Panik, seinen unwillkürlich zitternden Körper zu kontrollieren. Zu nah war die Erinnerung an Folter und Gefangenschaft und an Ilat …
„Anovon, du wirst ihn leben lassen!“ P’Maondny war froh, dass Thamar ihre Sprache nicht verstand. Sie wusste, der junge Mann war wach und zu Tode verängstigt. Warum nur musste sie so schwach sein, dass sie die Gefahr erst bemerkt hatte, als es zu spät war? Wütend starrte sie ihren Bruder an, wissend, wie sehr es ihre Familie verstörte, sie sowohl bei Bewusstsein als auch von sichtbaren Gefühlen bewegt zu sehen. Es verstörte sie selbst.
„Er ist ein Mensch“, wiederholte Anovon ebenso stur, in jenem geduldigen Ton, den er für Kranke, Kleinkinder und seine geistig verwirrte Schwester reserviert hatte.
„Er hat mein Leben gerettet, ohne sich darum zu kümmern, wer oder was ich bin. Er hat mich aus dem Fluss gezogen, gewärmt, gepflegt. Wenn du ihn anrührst, Bruder, verspreche ich dir meine ewige Feindschaft.“ Sie ließ ihn ihre zornige Entschlossenheit spüren, die ihm bewies, wie ernst sie es meinte. Anovon zuckte zusammen – ewig war ein Wort, das Unsterbliche nicht leichtfertig in den Mund nahmen.
„Was erwartest du von uns, Seherin?“ Einer der Krieger trat respektvoll an Maondny heran. „Wir müssen uns rasch entscheiden, ob wir ihn mitnehmen oder nicht, und ob wir uns auf eine
Auseinandersetzung mit den Wölfen und diesem Priester einlassen wollen.“
„Eryad, es gibt nichts zu entscheiden. Der Menschenmann kommt mit uns, oder ihr könnt mit leeren Händen zu meinem Vater zurückkehren und ihm erklären, warum ihr mich im Wald gelassen habt.“
Die kleine Gruppe elfischer Jäger und Krieger wechselte unbehagliche Blicke. Taón und Fin Marla würden bereits zornig genug sein, weil es so lange gedauert hatte, sie zu finden. Wenn sie nun ohne Maondny zur Siedlung zurückkehrten …
„Schwester, versteh doch bitte, du verlangst das Unmögliche! Lass uns den Mann in Sicherheit bringen und bei den Seinen zurücklassen. Wir können ihn nicht mitnehmen.“ Anovon wollte an ihre Vernunft appellieren. Aber Maondny schüttelte den Kopf.
„Sein Schicksal ist bedeutsam, ich verstehe nur nicht vollständig, auf welche Weise, und für wen. Ich muss mich mit Mutter über ihn austauschen.“
Eine kurze Weile diskutierte Anovon noch weiter, dann gelangten sie schließlich zu einem Kompromiss: Thamar würde mit ihnen kommen, gefesselt und mit verbundenen Augen. Alles Weitere mussten ihre Eltern entscheiden.
Thamar zuckte zusammen, als sich eine Hand auf seinen Rücken legte.
„Hör mir zu, mein Freund“, wisperte Maondnys Stimme in sein Ohr. „Nenne auf keinen Fall deinen Namen und sage
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