Toechter der Dunkelheit
versiegten die glühenden Schmerzwellen und ließen sie in tauber Gefühllosigkeit zurück. Aber auch das war keine Erleichterung, denn nun begann eisige Kälte sie zu quälen.
Wimmernd betete Inani, zu Pya, zu Ti, zum Schöpfer der Welten, flehte um Gnade.
„Macht dem ein Ende!“, beschwor sie ihre Gefährten. Doch beide verstanden nicht, warum sie um etwas bettelte, dass sie schon so bald erhalten würde.
„Beiß mich!“, bat Inani die Kyphra. Sie spürte an der feuchten Kälte um sie herum, dass es inzwischen Nacht geworden war. Ihre Augen ließen sich nicht öffnen. Die Qualen waren dumpfer geworden, leichter zu ertragen, dafür hatte sie nun Schwierigkeiten, ihren Körper überhaupt wahrzunehmen. Nur die Kälte sagte ihr, dass sie noch lebte.
„Warum soll ich dich beißen?“
„Dein Gift, es würde mich schlafen lassen. Ich will nicht länger wach sein und warten.“
„Mein Gift tötet.“
„Ich will schlafen.“
Die Kyphra zögerte. Der Gedanke, die eigene Seelenschwester zu beißen, die sie weder angriff noch ein Opfer darstellte, verwirrte sie sehr. Aber die Bilder, die Inani ihr schickte, schienen sie zu überzeugen. Konzentriert schlängelte das Reptil sich vor, ihr Kopf pendelte vor Aufregung hin und her. Dann, als sie sicher war, schnappte sie zu. Doch ihr Kiefer schloss sich nicht, die nadelspitzen Zähne gruben sich nicht tief ein, wie sonst, sondern kratzten nur leicht über Inanis rechtes Handgelenk. Winzige Mengen Gift durchdrangen die Haut, pulsierten rasch durch ihren Körper. Es tötete sie nicht, sondern sorgte für raschen, traumlosen Schlaf.
„Du musst trinken.“ Unwillig stöhnte Inani auf. Warum lebte sie denn immer noch? Konnte es nicht einfach vorbei gehen? Diesmal gelang es ihr, die Augen zu öffnen, um sie herum war es dunkel. Sie spürte, dass der Panther dicht bei ihr liegen musste, doch nur als geistige Empfindung. Ihr Körper war so taub, es gab kein Zeichen, dass er weiterhin zu ihr gehörte. Eigentlich nicht unangenehm, denn in der vollständigen Gefühllosigkeit gab es auch keine Schmerzen.
„Wozu trinken? Ich sterbe.“
„Wenn du kämpfst, deine Magie rufst, kannst du überleben.“
„Ich will nicht leben. Für was? Meine Mutter hasst mich. Ich bin von Feinden umgeben, meine Göttin verlangt etwas von mir, was ich nicht erfüllen kann. Lasst mich sterben.“ Inani fühlte tiefen Frieden in sich, als sie diesen Gedanken weiter gab. Ja, so war es richtig! Wenn sie hier starb, würde sie allen Feinden und falschen Erwartungen entgehen.
Sie bedauerte lediglich, dass dadurch auch ihre Seelengefährten sterben mussten, die so eng an sie gebunden waren.
„Kämpfe gegen deine Feinde!“, fauchte die Leopardin.
„Ich kann nicht gegen meine Mutter kämpfen!“
„Warum nicht?“ Die Kyphra zischelte verwirrt. „Kämpfe gegen deine Feinde.“
„Sie ist meine Mutter, ich kann ohne sie nicht überleben!“
„Wozu? Du bist fast reif, brauchst ihren Schutz nicht mehr“, grollte die Raubkatze.
Beide Gefährten schickten eine Flut von wirren Bildern in Inanis Geist. Sie sah, wie die Schlangen lebten, ohne ihre Mütter zu kennen. Sie sah, wie die Leoparden sich innig um ihre Jungtiere kümmerten, bis diese alt genug waren, allein zu jagen, und sie danach verließen.
„Es gibt keinen Grund zu sterben, wenn du stark genug zur Jagd bist. Lebe, kämpfe, töte sie, wenn es sein muss.“
Inani dachte nach. Es dauerte lange, denn immer wieder verlor sie zwischendurch das Bewusstsein.
Ich brauche meine Mutter nicht … Wenn ich lernen kann, wie eine Schlange oder Raubkatze zu fühlen, kann Mutter mich nie mehr verletzen. Warum hasst sie mich?
„Sie hasst dich nicht.“ Beide Gefährten waren sich in dieser Sache einig.
„Sie kämpft für dich. Menschen sind schwierig, sie verletzen ihre eigenen Jungen, um sie zu retten.“
Die Leopardin trug Inanis Wasserflasche heran, und mühte sich gemeinsam mit der Schlange darum, Inani etwas Flüssigkeit einzuflößen. Am Ende war der Lederverschluss zerstört und fast alles Wasser über Inanis Gesicht gelaufen statt in ihren
ausgedörrten Mund hinein, aber selbst die geringe Menge half, ihre Lebensgeister zu wecken.
Sie suchte nach ihrer Magie. Sie war schwach, so schwach ... Normalerweise strömten die Energien begierig zu ihr, eher zu viel als zu wenig davon, kaum zu bändigen wie ein überschäumender Fluss, dessen Wasser hoch aufgestaut worden waren. Diesmal jedoch war es ein zähes Ringen, als wäre der Strom
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