Toechter der Dunkelheit
ehrlich zu dir, aber das heißt nicht, dass wir dir schaden wollen.“
„Ich – nein! Ich will wissen, wohin ihr mich bringt!“ Er versuchte sich aus dem stahlharten Griff der Elfe zu befreien, sich gegen die Müdigkeit zu wehren, die durch Fin Marlas Fingerspitzen in ihn hinein sickerte, doch vergeblich: Gegen ihre Macht war er hilflos. In Panik schrie er auf, schlug um sich, stürzte zu Boden, überwältigt von namenloser Angst. Waren die beiden etwa Verbündete seines Bruders? Würden sie ihn übergeben, um Einlass in Roen Orm zu finden? Ein Geschenk für Ilat? „Ruhig, Thamar, sonst verletzt du dich selbst“, hörte er Fin Marlas Stimme in seinem Bewusstsein.
„Geh weg!“, schrie er verzweifelt, versuchte, seinen von rasenden Schmerzen gequälten Kopf mit den Armen zu schützen. Zitternd lag er da, auf dem Boden zusammengerollt.
„Thamar!“ Maondny kniete neben ihm nieder, nahm sanft seine Hände, zog ihn mühelos in ihre Arme.
Ihre Fingerspitzen strichen über seine Stirn, und wo immer sie ihn berührte, ließ der Schmerz nach, bis er wieder ruhig atmen konnte. Benommen blickte er zu ihr auf, er wusste nicht mehr, was er denken oder fürchten sollte.
„Ich habe dir versprochen, dass ich dich beschützen werde, und das war keine Lüge. Dir wird kein Leid geschehen, ich schwöre es.“
„Ich bin diejenige, die gelogen hat, Prinz von Roen Orm.“ Fin Marla lächelte traurig. „Ich hatte gesagt, dass ich dich nicht als Kriegswerkzeug missbrauchen will. Nun, das war eine Lüge, ich will dich missbrauchen, oder sagen wir,
ausnutzen, dass du vollkommen wehrlos bist und von mächtigen Feinden gejagt wirst. Doch ich verspreche dir, dass ich dir nicht schaden will.“
Maondny zog ihn auf die Füße und führte ihn langsamen Schrittes voran, hinein in Nebelschwaden, die so dicht waren, dass man die Hand nicht mehr vor den Augen erkennen konnte.
„Wir bringen dich in die Welt hinter dem Nebel, zu den Hexen. Sie wissen nichts von unseren Plänen. Mutter wusste selbst nichts davon, bis wir in den Wald gegangen waren. Die Hexen sollen deine neuen Verbündeten werden, Thamar. Sie sind das Gegengewicht zu den Sonnenpriestern des Ti, die sie schon so lange bekämpfen. Die Hexen können dafür sorgen, dass du es sein wirst, nicht dein Bruder, der den Thron von Roen Orm besitzen wird.“
„Warum sollten sie das tun?“, fragte Thamar völlig verblüfft. „Hassen die Hexen nicht alle Männer?“
Maondny lachte hell auf. „Nein, aber nicht doch! Sie lieben Männer – auf ihre Weise. Und sie lieben Macht. Am meisten lieben sie allerdings den Kampf um das Gleichgewicht zwischen den Kräften. Die Sonnenpriester sind schon zu lange im Vorteil. Die Töchter der Dunkelheit werden es genießen, mit dir eine Möglichkeit zu haben, dieses Spiel zu ihren Gunsten zu wenden.“
Der Nebel lichtete sich etwas, und ein Rabe landete zu Füßen der kleinen Gruppe. Ein kurzes, bläuliches Flimmern, und eine schwarz gekleidete Frau mit glatten dunklen Haaren und hartem Blick stand vor ihnen. Sie musterte die Eindringlinge abschätzend.
„Du hast Recht, Elfe. Mein Name ist Kythara, ich bin die Königin der Hexen. Der Prinz ist mehr als willkommen hier, und ich werde es genießen, was er mir zu bieten hat“, sagte sie, mit einem kalten, berechnenden Lächeln auf den Lippen.
15.
„Hoffnung zwingt uns zu leben, selbst, wenn der Tod längst die bessere Alternative wäre.“
Sinnspruch aus Roen Orm
Ein leises Rascheln, ein dürrer Zweig knackte, als Neirun verstohlen durch den scheinbar so friedlich schlummernden Wald schlich. Krankheit hatte seinen Körper ausgezehrt, er konnte sich kaum aufrecht halten. Hinter den Bäumen waren die Häuser von Navill sichtbar, sein Dorf, in das eine verheerende Seuche eingebrochen war. Es begann mit Fieber und unerträglichen Durst. Einige Tage später entstanden kleine, knotige Geschwüre, die nach und nach alle Poren der Haut verschlossen, bis das Opfer qualvoll erstickte – oder vorher sein Leben beendete, wie Neirun es versuchte.
Ganz Anevy war erfüllt von Osmeges tödlichem Bewusstsein. Das Dorf wurde durch einen Bannzauber geschützt, der die Magie draußen hielt – und die Orn darin gefangen, denn sie waren von seinem Schutz abhängig.
Ein dunkler Schatten huschte zwischen den Baumstämmen dahin. Neirun schrak zusammen. Angsterfüllt blickte er nach allen Seiten, doch nichts war zu sehen. Es blieb weiterhin unnatürlich still, als beobachte der Wald seine
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