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Toechter der Dunkelheit

Toechter der Dunkelheit

Titel: Toechter der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Balzer
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zur Südseite des Dorfes, wo abseits von allen anderen das Haus der Heilerin stand.
    Das ganze Dorf folgte der Addart. Kurz bevor sie das strohgedeckte Haus erreichten, trat Sviedra heraus, hob den Arm, und der Vogel landete auf ihrer ausgestreckten Hand, als gehöre er dorthin. Ehrfürchtig wichen die Orn zurück. War die alte Frau, die sie alle schon ihr ganzes Leben kannten, die Frau, die fast allen von ihnen bei der Geburt auf die Welt geholfen hatte, womöglich eine Zauberin? Wie konnte sie diesen mystischen Vogel bezwingen? Sviedra hob die Addart ungerührt an ihr Gesicht und ließ zu, dass sie mit dem Schnabel über ihre Wange strich. Dann lachte sie und wandte sich der staunenden Menge zu.
    „Fürchtet euch nicht, sie ist harmlos und besitzt gewiss keinerlei Magie. Sie hat mir eine Nachricht gebracht.“
    „Addarts gibt es doch nur im Märchen, in denen sie kleinen Kindern schöne Träume bringen“, sagte Pera. Scheu trat sie näher und streckte die Hand nach dem Vogel aus. Sie zögerte, als die Addart sich gurrend von ihr abwandte.
    „Vorsicht, Kind, Addarts sind harmlos, aber wenn sie Angst haben, können sie mit ihrem Schnabel heftig picken. Sie bringen keine Träume, das ist Unsinn. Als ich ein kleines Mädchen war, hat man Addarts genutzt, um Nachrichten zwischen den Dörfern zu
    überbringen. Schon damals war das selten möglich, Osmege hat beinahe alle Addarts töten lassen. Es ist seltsam, nach all den Jahren, und dass die Addart zu mir fand, obwohl sie nicht aus Navill stammt.“
    Sviedras Worte verendeten in sinnlosem Flüstern, wie so oft. Behutsam nahm sie das kleine Stück Pergament vom Bein des Vogels ab und begann stirnrunzelnd zu lesen.
    „Komm, Kelan, tritt ein. Sie ist an dich gerichtet.“ Sviedra ging ins Haus zurück.
    „Geht nach Hause, Freunde!“, rief Kelan über die Schulter, dann folgte er ihr.
    Pera wechselte einen bedeutsamen Blick mit ihrem Bruder, doch er zog sie energisch mit sich nach Hause.
    „Wag es nicht zu lauschen, das geht dich nichts an!“, brummte er.
     
    Sviedra zwang Kelan auf einen Schemel.
    „Setz dich, Junge, lies die Nachricht. Sie gibt uns einen Schimmer Hoffnung für unser Dorf und kündet große Dinge für Anevy. Aber dir wird sie trotzdem nicht gefallen.“ Sviedra vermied es, ihn anzusehen. Kelan nahm das winzige, von beiden Seiten eng beschriebene Stück Pergament an sich und las, mühsam buchstabierend:
     
    An Kelan, Führer von Navill
    Kennst du die Legende der Steintänzerin?
    Eine Famár sagte, die Tänzerin ist geboren. Zwei Gefährten sollen an ihrer Seite kämpfen: Jordre aus meinem Dorf und eine Frau namens Pera.
    Jordre ist mit der Famár aufgebrochen. Er soll mit Pera vermählt werden und mit ihr auf die Suche gehen. Sorgt für alles.
    Jinivy, Führer von Eran, in der Provinz Oknich
     
    Schweigend ließ Kelan die Botschaft sinken. Einige Herzschläge lang starrte er sinnend in das kleine Kaminfeuer, das Sviedras Stube erwärmte, dann presste er die Hände vor das Gesicht und schüttelte müde den Kopf. „Warum muss es ausgerechnet mein Mädchen sein?“
    „Deine Pera besitzt ein schwieriges Temperament“, sagte Sviedra sanft. „Es wird nicht leicht sein, sie zu überzeugen, einen völlig fremden Mann zu heiraten und mit ihm in die Fremde zu gehen.“
    „Es wird schwer genug sein, sie nur zum Zuhören zu bewegen! Sviedra, das soll Hoffnung sein? Die Zukunft, das Schicksal der Welt in den Händen meines störrischen kleinen Mädchens, eines Fremden und irgendeiner Tänzerin.“ Er seufzte tief.
    „Zumindest“, fuhr er fort, „zumindest kommt eine Famár in unser Dorf. Vielleicht werden doch noch einige von uns gerettet.“
    „Wie weit ist Oknich von uns entfernt?“, fragte Sviedra vorsichtig.
    „Ich weiß nicht genau. Zweihundert, vielleicht dreihundert Meilen, und es geht über ein hohes Gebirge und einige schwierige Flusstäler, soweit ich mich an die Karten erinnere. Wenn sie – sagen wir mal – bereits eine Woche unterwegs sind, könnten sie in einen Monat hier ankommen, falls sie nicht länger rasten, jeden Tag vorwärts eilen und keine Schwierigkeiten bekommen, sich verirren oder einen Unfall haben oder vom Feind direkt angegriffen werden, vielleicht – ach, sie werden in spätestens einem Monat hier sein."
    „Jeder hat von dem Wasser getrunken. Wenn die Krankheit ausbricht, dauert es etwa neun Tage bis zum Tod. Sollten die beiden hier ankommen, werden es wirklich nur noch einige sein können!“, murmelte sie. Kelan

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