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Töchter der Luft

Töchter der Luft

Titel: Töchter der Luft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Glemser
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die Seite, und sie tuschelten miteinander. Nun, er war hier sozusagen zu Hause. Ein Blick genügte: Er durfte hier alle Fragen der Welt stellen, aber nicht ich — ich war ein Niemand. Und schon schickten sie sich an fortzugehen, als hätten sie meine Anwesenheit vollständig vergessen; im letzten Augenblick jedoch fiel es Ray ein. Er kam auf mich zu und sagte: »Setz dich und mach’s dir bequem. Ich komme so schnell wie möglich zurück. Ich will nur ein Wort sprechen mit Doktor Walker, der diesen Fall behandelt.«
    Es ist immer dasselbe in Krankenhäusern. Erst bitten sie einen, man möge so rasch wie möglich kommen, und dann wartet man und wartet man und wartet man, und nichts geschieht — man sieht nichts, man hört nichts, die Schwestern und die Ärzte, die vorübergehen, tun so, als wäre man nicht vorhanden. Endlich, nach ungefähr vierzig Minuten, kam Ray zurück mit einem kleinen rundlichen jungen Arzt. Ein Polizeisergeant mit rotem Gesicht lungerte im Hintergrund herum. Der Arzt gehörte zu den Menschen, die an einem nervösen Lächeln leiden. Er grinste mich kläglich an, als Ray uns einander vorstellte: »Doktor Walker, Miß Thompson.«
    »Guten Abend, Miß Thompson.«
    »Guten Abend, Doktor Walker. Wie geht es ihr?«
    Er schaute mich leer an.
    Ray sagte: »Man hat ihr ein starkes Beruhigungsmittel gegeben.«
    »Aber wie geht es ihr?«
    Ray sagte: »Aber ich sag’s dir doch. Sie schläft.«
    »Darf ich sie sehen?«
    »Wirklich, es hat nicht viel Sinn«, schaltete sich Doktor Walker ein. »Miß Thompson, sie schläft, verstehen Sie, man hat ihr ein Beruhigungsmitte} gegeben. Sie können doch nicht mit ihr sprechen.«
    »Ist sie tot?«
    »Nein«, sagte Ray.
    »Bitte, will mir denn niemand sagen, wie es ihr geht?«
    Doktor Walker blickte Ray an. Dann sagte er sanft: »Sie hat Verletzungen erlitten, aber wir können noch nicht sagen, wie ernsthaft sie sind. Nicht, ehe nicht einige Röntgenaufnahmen gemacht sind — dafür bereiten wir sie gerade vor. Wir haben es ihr so bequem gemacht, wie es unter diesen Umständen nur möglich ist, und wir hoffen alle das Beste.«
    »Ich möchte sie sehen. Sie hat nach mir gefragt. Ich bin ihre Freundin. Sie soll wissen, daß ich gekommen bin.«
    »Carol, sie schläft«, sagte Ray. »Sie liegt unter Morphium.«
    »Dann warte ich, bis sie aufwacht. Ray, ich muß hiersein, wenn sie aufwacht. Sie ist fremd hier, Ray, ich muß da sein.«
    »Tut mir leid, Miß Thompson«, meinte Doktor Walker, »aber das kann bis morgen früh dauern.«
    »Warum hat man mir dann gesagt, ich soll so rasch wie möglich herkommen?«
    »Es sind einige Formalitäten zu erledigen in solchen Fällen«, fiel Ray ein. »Ich habe mich schon darum gekümmert.«
    »Ray —«
    »Beruhige dich«, sagte er sanft. »Beruhige dich doch.«
    Ich biß mir auf die Lippen und schluckte ein paar Tränen hinunter. Ich sagte zu Doktor Walker: »Ich hab’ ein paar Sachen für sie mitgebracht — ein Nachthemd und ihr Waschzeug und so weiter. Würden Sie bitte dafür sorgen, daß man ihr das bringt?«
    »Gewiß.« Er nahm den weißen Schweinslederkoffer, als fürchte er, er könne jeden Augenblick in seinen Händen explodieren.
    Ich sagte: »Wenn sie aufwacht, Doktor, würden Sie ihr dann bitte sagen, daß ich gleich morgen früh zu ihr kommen werde?«
    »Natürlich, natürlich. Sie können sich auf mich verlassen, Miß Thompson.«
    »Wir wollen gehen«, sagte Ray. Er schüttelte Doktor Walker die Hand und sagte: »Wir bleiben in Verbindung.«
    Dann rief er dem Polizeisergeant im Hintergrund zu: »Auf Wiedersehen, Sergeant. Danke für Ihre Mithilfe.«
    »Gern geschehen, Sir.«
    Doktor Walker lächelte mich schüchtern an, und Ray führte mich hinaus.
    Als wir in dem kleinen roten Wagen saßen, sagte ich: »Ray, sag mir die Wahrheit. Wie geht es ihr?«
    Er wollte gerade den Motor anlassen, aber er zog die Hand wieder zurück. Seine Stimme war ganz flach und tonlos: »Carol, es tut mir leid, ihr Zustand ist nicht gut.«
    »Was heißt das, Ray? Was meinst du damit, ihr Zustand ist nicht gut?«
    »Man weiß noch nicht, wie ernsthaft die Verletzungen sind. Sie hat einen Beckenbruch, und sie scheint auch funktionelle Störungen zu haben.«
    »Oh, mein Gott, was bedeutet das?«
    »Zur Zeit kann sie die Beine nicht bewegen. Man wird mehr darüber wissen, wenn man die Röntgenaufnahmen sieht.«
    »Oh, wie entsetzlich!«
    Er ließ den Motor an, doch er schaltete den Gang nicht ein. Eine Weile saßen wir stumm nebeneinander,

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