Töchter der Luft
natürlich. Ich komme sofort. Würden Sie mir bitte sagen, wo es ist?«
Sie sagte es mir und fügte mit gleichmütiger Stimme hinzu: »Kommen Sie in die Unfallstation und fragen Sie nach Mrs. McQueen.«
»Das sind Sie, Mrs. McQueen.«
»Ja. Ich bin die Nachtschwester.«
»Bitte, Mrs. McQueen, bitte, ist sie schwer verletzt?«
»Kommen Sie nur so schnell wie möglich. Auf Wiedersehen.« Sie hängte auf.
Ich legte den Hörer auf und versuchte, mich zu fassen. Es war nicht wahr, es war nur ein grauenvoller Traum. Dann nahm ich den Hörer wieder auf und drückte so lange den Sprechknopf, bis der Telefonist sich meldete. Ich sagte: »Zimmer 1208. Es ist dringend.«
Er war da, Gott sei Dank. Er antwortete nach dem zweiten Läuten.
»Ray, hier ist Carol. Es ist etwas Entsetzliches geschehen. Meine Freundin Alma hat einen Autounfall gehabt, sie ist im Krankenhaus. Man hat mich eben angerufen und mir gesagt, daß sie verletzt ist. Ich soll sofort hinkommen.«
Seine Stimme war wie die von Mrs. McQueen, gleichmütig. »In welchem Krankenhaus ist sie?«
»Homestead General Hospital.«
»Wer hat dich angerufen? Einer der Ärzte?«
»Nein, eine Mrs. McQueen, die Nachtschwester in der Unfallstation. Liebling, es tut mir schrecklich leid, daß ich dich damit behellige —«
»Das ist mein Beruf. Also gut, komm vor das Hotel, so rasch du kannst. Ich warte dort auf dich.«
Ich zog meine blauen langen Hosen und ein buntes Hemd an, ich suchte aufgeregt, bis ich meinen grauen Kaschmirpullover fand. Ich bürstete mir das Haar in zwei Sekunden und zog mir die Lippen nach in drei Sekunden, dann riß ich meinen weißen Schweinslederkoffer aus dem Schrank und stopfte Almas schwarzes Nachthemd hinein, weil ich mich zu gut daran erinnerte, daß sie ein kratziges Krankenhausnachthemd auf der Haut nicht ertragen konnte. Ich packte ihre Toilettenartikel dazu und eine kleine Flasche Parfüm und ein Päckchen Gesichtstücher. Ich stand fröstelnd ein paar Minuten vor dem Hotel, ehe Ray vorfuhr. Er hatte einen blitzenden roten Sportwagen, das verblüffte mich, weil es eine neue Seite seines Charakters zeigte. Er war sehr formell gekleidet: dunkelblauer Sommeranzug mit dunkelgrauer Fliege.
Während wir die Auffahrt entlangbrausten, fragte ich: »Weißt du, wo das Krankenhaus ist?«
»Ja. Ich habe mit Mrs. McQueen gesprochen.«
»Hat sie dir gesagt...« Aber ich konnte diese Frage nicht beenden.
Er antwortete schroff: »Wir werden es erfahren, wenn wir da sind. Mrs. McQueen war sehr zurückhaltend, was die Einzelheiten betrifft.«
»Was ist mit dem Jungen, mit dem Alma aus war, Sonny Kee?«
»Er ist tot.«
»Oh, mein Gott.«
Ich sank auf meinem Sitz zusammen. Über uns raschelten die Palmwedel, und vor uns tauchten die Scheinwerfer alles in ein golden-grünes Licht.
»Kanntest du diesen Jungen?« fragte Ray.
»Nein. Ich hab’ ihn nur einmal gesehen, ein einzigesmal.«
»Wie war doch sein Name?«
»Sonny Kee.«
Ray sagte nach einem Augenblick: »Der Name kommt mir bekannt vor.«
»Er war Boxer, Ray. Er hat früher mal geboxt.«
»Tja. Ich glaube, daher ist er mir bekannt. Wie ist Alma an ihn gekommen?«
»Sie hat ihn im Hotel kennengelernt.«
Ray knurrte.
Ich sagte: »Ray, ich hab’ mein möglichstes getan. Heute abend
noch, kurz bevor sie wegging, habe ich zu ihr gesagt, >nimm dich in acht<. Ich habe sie vor ihm gewarnt.«
»Warum?«
»Er war ein übler Bursche. Ich hab’ sie gewarnt, aber sie hat mich ausgelacht.«
»Woher wußtest du, daß er ein übler Bursche war?« fragte Ray scharf. »Was soll das heißen?«
»Nat Brangwyn hat’s mir gesagt — weißt du, der Spieler, mit dem ich keinen Umgang pflegen darf. «
»Was hat Brangwyn dir gesagt?«
»Daß Sonny Kee einen schlechten Charakter habe und Alma sich nicht mit ihm einlassen solle.«
»Und du hast es Alma gesagt?« ,
»Ja.«
»Was dann?«
»Sie hat nicht auf mich hören wollen, Ray. Sie hat nur gelacht und gesagt, sie könne selber auf sich aufpassen.«
Wir sprachen dann kaum noch miteinander den ganzen Weg zum Krankenhaus. Wir eilten zur Unfallstation und fragten nach Mrs. McQueen, und nachdem wir ein paar Minuten gewartet hatten, erschien sie, eine große, starkknochige Frau in Schwesterntracht. Während sie auf uns zukam, sagte Ray: »Laß mich reden.«
»Ja, Liebling.«
»Hallo, Mrs. McQueen«, wandte er sich an sie. »Dies ist Miß Thompson. Ich bin Doktor Duer.«
Sie würdigte mich keines Blickes. »Ah, Doktor. Ah, ja.«
Sie zog ihn auf
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