Töchter der Luft
wahr? Die haben bestimmt ein piekfeines Restaurant.« Sie blickte mich scharf an. »Thompson,1 so kannst du nicht gehen.«
»Wie kann ich nicht gehen?«
»In dieser Aufmachung.«
»Warum nicht?«
»Regel 325«, brüllte sie mich an. »Du hast dich überall im Hotel in angemessener Kleidung zu zeigen. Regel 699. Du hast größte Sorgfalt auf ein tadellos gepflegtes Äußeres zu legen. Regeln? Bei allen Heiligen, ich werd’ euch die Regeln herbeten, bis sie euch zu beiden Ohren wieder herauskommen. All die Puppen da unten haben sicherlich Abendkleider an. Und genau das werdet ihr auch anziehen.«
»Bist du verrückt? Ein Abendkleid, um eine Boulette zu essen?«
»Genau das.« Sie rief Alma zu: »Hast du ein Abendkleid?«
Alma reckte sich. »Aber natürlich.«
»Schlüpf hinein.«
»Hör mal, Donna«, setzte ich an; aber sie fuhr auf mich los, mordlüstern: »Wenn du nicht aufhörst, auf mir herumzuhacken, kriegst du’s mit mir zu tun, und zwar zünftig. Es gibt keine Regel gegen essen, oder? Und wenn wir essen wollen, haben wir uns angemessen zu kleiden, oder? Also, ein bißchen dalli, Kinderchen, ich laß euch genau eine Viertelstunde Zeit, um all euren Kriegsschmuck anzulegen. Verstanden?«
Hätte man mich nach meiner Meinung gefragt, ich hätte gesagt, das sei unmöglich. Aber man verkünde es getrost von allen Dächern: ein Mädchen kann sich oberflächlich waschen, umziehen, pudern, mit Ohrringen behängen, den ganzen Zauber in genau sechzehn Minuten, selbst wenn ihr noch dauernd zwei andere vor den Füßen herumlaufen. Es braucht dazu nur so etwas wie eine Antriebskraft, die einen in Schwung hält, und die Antriebskraft in diesem Fall war Donna Stewart, die uns alle paar Sekunden mit voller Lautstärke anschrie, weil sie Angst hatte, vor Hunger zu sterben, ehe wir den Fahrstuhl erreichten. Annette und Jurgy saßen auf meinem Bett und sahen uns zu. Sie sagten kein Wort. Sie starrten nur.
Wir sahen auch recht ansehnlich aus, das muß ich zugeben. Ich hatte ein kleines Goldlamé-Modell an, das ich bei Lord und Taylor erstanden hatte, dazu goldene Sandalen. Alma hatte etwas Atemberaubendes aus schwarzer Spitze an, mit einer riesigen roten Rose am Busen; und sie sah so blendend aus, daß einem fast die Augen weh taten. Und Donna war schlechthin ein wandelnder Traum in einem Gewand, das nicht zu beschreiben war — ich konnte mir nicht vorstellen, wie es zusammenhielt, es war alles so sanft fließend — in einer phantastischen weichen Farbe, die ich nur vergleichen kann mit spanischem Moos oder mit alten Spinnweben. Es brachte wie nichts sonst auf der Welt ihre Figur zur Geltung, ihre grünen Augen und ihre rote Mähne.
»Donna!« fragte ich, »woher hast du dieses sagenhafte Kleid?«
»Von Schiaparelli«, sagte sie. »Schlicht und ergreifend.«
Ich sagte: »Für eine kleine Landpomeranze kennst du dich aber ziemlich gut aus. Sagtest du nicht, du seist nie in New York gewesen? Wie kommst du zu solchen Kleidern bei euch da in den Hinterwäldern?«
»ich hab’s bei Filene in Baahston (Boston) gekauft«, sagte sie. »Hast du schon mal was von Baahston gehört? — Wer hat meine: Handtasche gesehen? Wo steckt denn meine Handtasche?«
Sie lag auf ihrem Bett.
Sie setzte sich und öffnete sie und drehte sie um, so daß der; ganze Inhalt herausfiel, inbegriffen etwa dreißig Pennies, ein paar Dimes und drei Quarters, zwei Brillantringe und eine Rolle Geldscheine, so groß wie ihre Faust.
»Donna!« rief ich. »Das Geld!«
»Das suche ich gerade«, sagte sie. »Wir müssen ja schließlich unser Essen bezahlen. Aber alles brauche ich wohl nicht mitzunehmen, oder?«
»Bei allen guten Geistern, wieviel hast du da in dem Packen?«
»Zwölfhundert Dollar. Die hat mir mein alter Herr heute mor gen als Abschiedsgeschenk gegeben.« Sie zog einen Hundert-Dollar-Schein hervor und stopfte ihn in ein winziges Abendtäschchen aus Goldlamé. »Das dürfte wohl langen, nicht wahr?«
Ich sagte: »Junge, das will ich hoffen.« Donna mußte wohl zu den Menschen gehören, die nicht die leiseste Vorstellung haben, was Geld bedeutet. Ein Zwanzig-Dollar-Schein, ein Fünfzig-Dollar-Schein, ein Hundert-Dollar-Schein, für sie sahen sie alle gleich aus; einfach Scheine, einfach Geld.
Alma sagte: »Wir gehen nun? Oder wir nicht gehen?«
»Wir gehen«, sagte Donna. »Annette, mein Herz, tu mir einen Gefallen. Räum all den Kram wieder in meine Handtasche, ja?«
Annette kletterte vom Bett. »Du kannst doch nicht all das Geld
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