Töchter der Luft
Rückenmark.
»Mädchen«, sagte sie, und während sie sprach, blieb es grabes-still, man hätte eine Stecknadel zu Boden fallen hören können. »Ein paar Punkte möchte ich noch gern klarstellen. Erstens: Ihr seid verantwortlich für eure Appartements, nicht die Angestellten des Hotels. Ihr habt die Betten selber zu machen, alles tadellos sauberzuhalten und so weiter. Und man sieht euch täglich auf die Finger.«
Punktum. Keine überflüssige Silbe.
»Zweitens: Der eigentliche Unterricht wird nicht hier, sondern im Flughafengebäude stattfinden. Ihr seid eingeteilt in zwei Gruppen oder Klassen. Die erste Gruppe wird das Hotel pünktlich um Viertel vor acht mit dem Schulautobus verlassen. Die zweite Gruppe um Viertel nach acht. Der Fahrer hat Anweisung, auf keine zu warten, die zu diesem Zeitpunkt nicht im Bus sitzt. Okay?«
Wenn sie das so sagte, war das auch okay.
»Und noch etwas: Wie Mr. Garrison euch mitgeteilt hat, werden wir gedruckte Merkblätter verteilen mit allen Anweisungen, die euren Aufenthalt hier betreffen. Es ist jedoch schon spät, und es könnte sein, daß die eine oder andere nicht mehr allzu deutlich lesen kann zu dieser Stunde; darum werde ich euch die Regeln hier und jetzt vorlesen. Dann kann niemand behaupten, sie habe dieses Dingsda verlegt, ehe sie es habe lesen können. Hört zu!«
Sie las uns eine halbe Stunde lang die Anweisungen vor. Dann trotteten wir zurück in unsere Appartements und leckten unsere Wunden.
KAPITEL IV
Donna traf für uns alle den Nagel auf den Kopf: »Hört mal, Creme junger amerikanischer Frauen«, wandte sie sich an mich. »Steht da nicht irgend etwas in der Verfassung, alle Menschen haben ein Recht auf Leben, Freiheit und Streben nach Glück und ähnliches Zeug?«
»Nicht in der Verfassung«, sagte ich. »In der Unabhängigkeitserklärung.«
»Okay, okay, wir wollen nicht kleinlich sein. Was ich zum Teufel wissen möchte, ist: was haben die eigentlich vor mit uns?«
»Ich glaube, sie wollen uns vor uns selbst schützen.«
»Meinst du?« Sie murrte. »Da regen sich die Leute auf über das, was in Sibirien vorgeht. Ha! die sollten nur mal sehen, was sich hier abspielt, geradewegs vor ihrer Nase.«
Das fand ich leicht übertrieben. Dazu war eigentlich kein Grund vorhanden. Was war denn schon geschehen? In meinen Augen hatte die Magna International Airlines einfach die Regeln abgeschrieben von den Richtlinien des Frauengefängnisses — mit einigen Abänderungen natürlich. Zum Beispiel hieß es statt Häftlinge immer Stewardeß-Anwärterinnen, aber schließlich war das ein und dasselbe. Irgendwer bei der Magna-Gesellschaft hatte halt taktvoll sein wollen.
Das Merkblatt fing an mit einer Art allgemeinem Vorwort, f Nichts Bestimmtes. Nur ungewisse Drohungen.
Willkommen in Miami Beach. Wir freuen uns, Sie an Bord zu haben, und hoffen, die vier Wochen Haft im Hotel Charleroi wer- den Ihnen gefallen. Vor allem dürfen wir darauf hinweisen, daß: wir unerbittlich sind, was das Betragen unserer Häftlinge, oder Stewardeß-Anwärterinnen, anbelangt. Die Häftlinge, oder Stewardeß-Anwärterinnen, haben sich jederzeit wie Damen zu benehmen. Nichtbeachtung dieser Grundregel ist ein ernsthafter Verstoß.
»Das bedeutet«, sagte Donna, »drei Tage Einzelhaft.«
Und nach dieser Einleitung kamen die Einzelheiten. Die Häftlinge im Hotel Charleroi hatten mit dem Hoteleigentum achtsam umzugehen und waren für die Schäden haftbar. Wir hatten uns allen Hotelgästen gegenüber höflich zu benehmen. Es war uns untersagt, irgendeine Bar dieses Hotels oder irgendeines anderen Hotels in Miami Beach zu betreten. Es war uns untersagt, irgendwelche alkoholischen Getränke zu uns zu nehmen, und jeder Häftling, der während der Ausbildungszeit berauscht angetroffen wurde, hatte mit sofortiger Entlassung zu redmen. Dann ging es weiter über die äußere Erscheinung. Die Häftlinge hatten jederzeit tadellos gepflegt zu sein. Die Häftlinge durften sich nirgends im Hotel jemals anders zeigen als angemessen bekleidet. Die Häftlinge hatten größte Sorgfalt auf ihr Äußeres zu legen, einschließlich Pflege der Haut und geziemende Anwendung von Kosmetika; Pflege der Hände und der Fingernägel; Pflege der Haare und der Frisur; Überwachung des Gewichts. Des weiteren hatten die Häftlinge sich, außer am Badestrand, in der Öffentlichkeit stets vollständig bekleidet zu zeigen; und vollständig bekleidet war näher erläutert. Es bedeutete: einschließlich Strümpfen und
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