Töchter der Luft
mir. Wir haben ein kleines Restaurant, ja, gewiß. Gestatten Sie mir, Ihnen den Weg zu zeigen.«
Er ging mit Donna voraus. Von hinten gesehen war er sehr breitschultrig und ein ganz klein wenig o-beinig, und sein Scheitel war meilenweit unter Donnas Kinn. Nicht, daß ich etwas darauf gäbe, ob jemand groß oder klein ist. Was machte es schon, daß er Donna nicht einmal bis ans Kinn reichte und daß er sich offensichtlich bis über beide Ohren in sie verguckt hatte; was mich wunderte, war die Duplizität der Fälle. Man sollte meinen, kleine Männer hätten es auf kleine Frauen abgesehen. Mitnichten. Jedenfalls nicht, was Donna Stewart anbetraf. Erst Mr. Muirhead, der Jockei. Jetzt Mr. Courtenay. Ich kriegte es geradezu mit der Angst, was geschähe, sollte ihr jemals ein Zwerg über den Weg laufen.
»Dies sein großes Hotel«, flüsterte mir Alma zu. »Sehr feiner Ausstattung.«
Weiß Gott, es war ein großes Hotel, und es war fein ausgestattet. Wir gingen und gingen, Mr. Courtenay voran, der mit Donna vom Hundertsten ins Tausendste kam, bis wir endlich vor einem weiten offenen Torbogen hielten, vor dem sich ein dickes, rotes Samtséil spannte. Vor dem Seil stand ein livrierter Lakai, der es öffnete und einen hindurchließ, falls er der Ansicht war, man stamme aus dem richtigen Stall. Mr. Courtenay schnippte mit den Fingern, der Bursche klappte förmlich zusammen und öffnete das Seil in einem einzigen Sprung, bei dem er sich fast den Fuß verstauchte.
Mr. Courtenay schwang den Arm in einer einladenden Geste. »Bitte, meine Damen, unser kleines Restaurant. Es heißt >Zum Sonnenkönig<, nach — Sie erinnern sich — Le Roi Soleil, dem großen und berühmten Louis Quatorze. Bitte, treten Sie ein.«
Ich brachte kein Wort über die Lippen. Wir waren ihm ausgeliefert. Er schritt voran, und wir folgten ihm. Ich dankte Gott, daß Donna in weiser Voraussicht hundert Dollar eingesteckt hatte. Und selbst die würden vielleicht nicht reichen. Denn das Restaurant >Zum Sonnenkönig« war nicht nur riesig; es war auch geradezu fürstlich. Die mächtigen Tische standen weit auseinander, sie schimmerten von blüten-weißem Damast, Gläsern und Silber, ein Narr konnte sehen, daß eine Kruste alten Brotes ein Vermögen kosten mußte, ganz besonders à la carte. Die Decke war verkleidet mit Metern und Metern bauschiger grauer Seide, die in der Mitte zusammengehalten wurde von einer riesigen, goldenen Brosche in Form einer strahlenden Sonne. Drei Wände zierten heitere Fresken, die wohl einige galante Szenen aus dem Leben des Roi Soleil darstellten. Die vierte Wand jedoch war überhaupt keine Wand. Es war ein riesenhaftes, gewölbtes Fenster, von dessen einem Ende ein Durchgang zu einer Terrasse führte, wo eine Tanzkapelle spielte und einige Paare tanzten.
»Das ist ja wie in Rom«, hauchte Alma.
Wir bildeten jetzt eine Prozession. Vor Mr. Courtenay schritten der Oberkellner Henri und drei gewöhnliche Kellner. Das Restaurant war sehr voll und alle schienen sich nicht satt sehen zu können an unserem Auftauchen in ihrer Mitte. Donna, in ihren Spinnweben von Schiaparelli, war natürlich der Brennpunkt aller Blicke, aber Alma und ich bekamen auch unseren Teil ab, und ich spürte, wie ich rot wurde, bis hinunter zu den Zehen. Endlich gelangten wir an einen Tisch. Die Kellner rückten uns drei Stühle zurecht, sie reichten uns die Speisekarten, die etwa die Größe der New York Times hatten, jedoch aus Ziegenleder oder so etwas Ähnlichem waren; und dann stellte Mr. Courtenay sich in Positur und schwang eine neue Rede.
»Meine lieben jungen Damen«, hub er an. »Dies ist Ihr erster Abend hier bei uns im Charleroi. Lassen Sie mich wiederholen, was ich vorhin schon sagte. Wir sind erfreut, wir sind entzückt, Sie bei uns zu haben. Und so müssen Sie heute abend unsere Gäste sein. Das Hotel gehört Ihnen heute. Ich bitte Sie, bestellen Sie sich alles, wonach es Ihnen gelüstet. Was Sie wollen. Es wird uns ein Vergnügen sein.«
Er starrte Donna an, während er sprach, und sie machte ganz große Augen und strahlte ihn an. »Aber, Mister Courtenay! Das ist reizend von Ihnen! Sagt, ist Mister Courtenay nicht bezaubernd?«
Er wurde dunkelrot.
Alma saß mit offenem Mund da.
Ich saß mit offenem Mund da.
»Henri wird sich um Sie kümmern. Ich komme nachher wieder«, schloß Mr. Courtenay und schritt davon.
Henry war ein magerer Mann mit einem mageren Hals, und er bog sich zu uns herab wie eine menschliche Haarnadel, wobei er in
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