Töchter der Sechs (German Edition)
der nächsten Tage erreichen. Ihre Eltern hatten damals sechzehn Tage von der Küste bis zu der Lichtung gebraucht und auch sie hatten mit allerlei Widrigkeiten zu kämpfen gehabt. Wenn sie nicht innerhalb der nächsten sechs Tage ankämen, so hatten sie sich möglicherweise verlaufen. Diese Aussicht machte Darija Sorgen, denn obgleich sie sich darauf verstand, auf dem Meer zu navigieren, so war das an Land, noch dazu in einem dicht bewaldeten Gebiet, wesentlich schwieriger. Hier konnte man nicht kilometerweit sehen, manchmal war es durch das dichte Blätterdach sogar unmöglich, die Position der Sonne zu bestimmen. Auch die Landkarte, die Mawen mit sich führte, war von keinem großen Nutzen, da es unmöglich war, ihre genaue Position zu bestimmen. Auch war die Lage der Lichtung nur ungefähr auf der Karte vermerkt. Dass sie fehlgegangen waren, würden sie daher möglicherweise erst merken, wenn sie den Rand des Waldes auf der anderen Seite erreicht haben würden. Gerne hätte sie ihre Bedenken mit den anderen geteilt, doch Zada war voller Vertrauen auf die Götter und Mawen war durch seine Verletzung kaum ansprechbar. Er musste noch immer Schmerzen haben, auch wenn er es nicht zugab. Er wirkte angespannt und das Laufen fiel ihm sichtlich schwer. Wann immer Zada oder sie ihn jedoch dazu befragten, beteuerte er, dass es mit jedem Tag besser würde. Auch wenn ihr die entsprechende Ausbildung fehlte, so war sich Darija sicher, dass dem nicht so war, denn wann immer sie einen Blick auf den Knöchel werfen konnte, erschien er ihr dick und geschwollen. Zada schien ihre Einschätzung zu teilen, denn noch immer trug sie mehrmals täglich Salbe auf und bandagierte den Fuß. Sie hatte es jedoch aufgegeben, Mawen zu einem mäßigen Tempo und mehr Ruhepausen aufzufordern. Er wollte einfach nicht hören. Warum mussten Männer bei solchen Dingen immer so stur sein.
Sie kannte ein solches Verhalten von ihrem Bruder Roji. Selbst mit einer stark blutenden Wunde behauptete er, es ginge ihm gut. Einmal, da war er vielleicht acht, hatte er sich beim Spielen auf der Straße mit einer Tonscherbe den Fuß aufgeschlitzt und war, eine Blutspur hinter sich herziehend und käseweiß im Gesicht, nach Hause gekommen. Dennoch hatte er behauptet, es ginge ihm gut und es sei nur ein kleiner Kratzer. Ihre Mutter hatte die Wunde erst reinigen und verbinden können, als ihm wegen des Blutverlustes schwindlig geworden war und er sich setzen musste.
Hoffentlich würde dieses Verhalten Mawens Fuß nicht dauerhaft schädigen. Dies wäre bedauerlich für ihn und auch äußerst hinderlich für ihre Mission.
Jahr 3619 Mond 6 Tag 7
Uralt-Wald
Sie bete jeden Morgen und Abend zu den Göttern, bat um Führung und seit Mawens Verletzung auch um dessen Heilung, doch je länger sie durch den Uralt-Wald wanderten, desto weniger spürte sie die Gegenwart der Götter. Sie hatte das Gefühl, in die Irre zu gehen. Was Mawens Fuß anging, so hatte sie nicht das Gefühl, dass es besser wurde. Vielleicht war ihre Behandlung das Einzige, was verhinderte, dass es schlimmer wurde. Er lehnte es ab, sich auszuruhen. Gegen einen Tag Pause wäre aus ihrer Sicht nichts einzuwenden gewesen, zumal sie den Eindruck hatte, sich täglich weiter von Ziel zu entfernen. Noch war sie nicht so weit, das Vorgehen der Götter infrage zu stellen, doch Sorgen machte sie sich schon.
Jahr 3619 Mond 6 Tag 9
Uralt-Wald
Auf Zadas Drängen hatten sie zur Schonung seines Fußes am Vortag pausiert, doch hätten sie gewusst, wie nah sie ihrem Ziel waren, so hätte er nicht eingewilligt. Denn kaum waren sie am Morgen aufgebrochen, hatte sich der Wald gelichtet und sie standen auf jener Lichtung, in deren Mitte ein schwarzer Steinwürfel stand. Überglücklich fielen sie einander in die Arme, alle Zweifel der letzten Tage waren vergessen, kurzzeitig schwanden sogar die Schmerzen in seinem Fuß.
Doch ihre Freude wich schon bald Verwirrung und Ratlosigkeit. Die Oberfläche des Würfels war glatt und wies keinerlei Schrift auf. Resigniert setzten sie sich neben dem Würfel zu Boden. Lange schwiegen sie, nicht wissend, wie sie mit der Situation umgehen sollten. Schließlich brach er das Schweigen: „Haben wir den Text falsch gedeutet? Es gab keinerlei Hinweise, dass dieser Ort gemeint ist, dass dies hier das Herz Cytrias ist. Vielleicht suchen wir an der falschen Stelle.“
„Oder wir erwarten das Falsche. Wir haben Schrift auf dem Würfel erwartet. Doch wenn dies hier ein Ort
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