Toechter Der Suende
Schleier.
Obwohl die junge Frau die steife Nonnentracht ihres Ordens trug, wirkte sie ungemein anziehend. Ihre Gesichtszüge waren ebenmäßig, und in den blauen Augen lag ein träumerischer Glanz, insbesondere, wenn ihr Blick auf Falko ruhte. Eine Strähne ihres blonden Haares hatte sich unter ihrer Kopfbedeckung hervorgestohlen und ringelte sich auf ihrer Schläfe.
Für Falko war sie die schönste Frau, die er je gesehen hatte, und er wünschte Hilbrecht, Giso und die übrigen Nonnen zum Teufel, um mit ihr allein sein zu können. Ein Tritt unter dem Tisch, den ihm sein geistlicher Freund versetzte, brachte ihn aber so weit zur Besinnung, dass er Elisabeth nicht die ganze Zeit wie ein hungriger Wolf anstarrte.
»Wie lange, glaubt Ihr, werden wir bis nach Rom brauchen?«, fragte Elisabeth ihn.
Da Falko sich noch nicht mit der Reise beschäftigt hatte, konnte er es ihr nicht sagen. »Eine ganze Reihe solcher Tage wie heute, glaube ich«, redete er sich heraus und wandte sich dabei Giso zu. »Das meinst du doch auch, oder?«
»Wir werden über zwei Monate unterwegs sein, vielleicht sogar drei«, erklärte der junge Priester.
»Das ist aber eine lange Zeit!«, sagte Elisabeth erstaunt, aber auch erfreut. Es reizte sie, sich mit dem interessanten jungen Mann zu unterhalten, der so artig antwortete und sie seiner ganzen Haltung nach zu verehren schien. Natürlich hatte sie keine sündhaften Hintergedanken, sondern würde ihre Reinheit als Braut Gottes zu bewahren wissen. Aber ein wenig Freude am munteren Gespräch, so sagte sie sich, dürfte ihr doch vergönnt sein.
Giso sah die wachsende Vertrautheit zwischen seinem Freund und der künftigen Äbtissin mit Missvergnügen. Daher versuchte er, die beiden auf andere Gedanken zu bringen. »Es wird eine anstrengende Reise werden, vor allem die Überquerung der Alpen. Wir werden uns vor Steinschlägen in Acht nehmen und Steige bewältigen müssen, bei denen einem schier das Blut in den Adern gefriert! Außerdem gibt es dort kopfstarke Räuberbanden, die viele Reisende in ausweglose Situationen locken.«
Seine Anstrengungen, seinen Freund und die junge Frau mit den Gefahren der Reise zur Vernunft zu bringen, machten es noch schlimmer, denn Falko sprang auf, zog sein Schwert und kniete vor der Äbtissin nieder. »Solange ich bei Euch bin, habt Ihr nichts zu befürchten! Ich werde jeden in die Schranken weisen, der sich Euch mit unlauteren Absichten nähert.«
»Dann solltest du am besten bei dir selbst anfangen«, murmelte Giso.
»Was hast du gesagt?«, wollte Falko wissen.
»Nur, dass du endlich mit dem Essen anfangen solltest. Oder willst du die ehrwürdige Mutter dazu zwingen, die halbe Nacht an der Tafel zu sitzen?« Gisos Stimme klang scharf, denn er sah Schwierigkeiten am Horizont auftauchen, die sie wahrlich nicht brauchen konnten.
Während des Abendessens wuchs seine Besorgnis noch, denn Elisabeth und Falko hatten nur Augen füreinander und schienen vergessen zu haben, dass sie nicht alleine waren. Die beiden Nonnen in Elisabeths Begleitung räusperten sich ein ums andere Mal, ohne dass ihre Herrin darauf reagierte, und Falko tat alles, um sich der jungen Dame angenehm zu machen.
Selbst als die Tafel aufgehoben worden war und er mit Giso und Hilbrecht zusammen nach draußen ging, galten seine Gedanken der schönen Äbtissin.
»Sie ist eine Heilige!«, rief er voller Überschwang. »Mir ging es heute Morgen wirklich nicht gut, doch in dem Augenblick, in dem ich Äbtissin Elisabeth gesehen habe, waren meine Kopfschmerzen verschwunden.«
»Also, bei mir hat sie nichts bewirkt«, brummte Hilbrecht. Er fühlte sich zu müde, um dem Geschwätz des verliebten Gimpels, wie er seinen Freund im Stillen nannte, weiter zuzuhören.
Giso erlöste Hilbrecht, indem er eine Fackel an sich nahm und Falko aufforderte, mit ihm zu kommen. »Ich muss mit dir reden!«
»Muss das heute sein?« Falko war ebenfalls müde und hätte sich lieber hingelegt, um mit dem Gedanken an Elisabeth einzuschlafen.
»Es ist dringend!«
Da Falko nicht reagierte, packte Giso ihn und zog ihn mit sich.
»Was soll das? Du bist heute schon den ganzen Abend so komisch«, fuhr Falko ihn mürrisch an.
»Wenn hier einer komisch ist, dann bist du es«, konterte Giso. »Und jetzt komm! Was ich dir zu sagen habe, ist nicht für die Ohren der Knechte bestimmt.«
Falko begriff, dass sein Freund ein ernstes Anliegen hatte, und folgte ihm seufzend zu einem Bach, der in der Nähe des Nonnenklosters floss.
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