Töchter des Mondes, Band 01: Cate (German Edition)
ist ein Wüstling geworden.
Wir erreichen die Eingangshalle, gerade als Elena aus Vaters Arbeitszimmer kommt. »Miss Cate, lassen Sie mich Ihren Mantel holen. Soll Miss Maura Sie vielleicht auf Ihrem Spaziergang begleiten?«
»Nein, danke.« Als wenn ich nicht schon hundertmal mit Paul alleine spazieren gegangen wäre – im Garten, einander durch die Getreidefelder jagend, Verstecken spielend durch die Heidelbeerbüsche.
Elena schaut uns an, und auf einmal wird mir der Abstand zwischen uns bewusst, oder besser gesagt: der nicht vorhandene Abstand. »Ich fürchte, ich muss darauf bestehen, dass Sie eine Anstandsdame mitnehmen. Ich kann mitkommen, wenn Sie mögen.«
Um Himmels willen. Ich glaube wirklich nicht, dass Paul mich in den Gärten vergewaltigen wird.
»Und denken Sie an Ihre Handschuhe«, fügt Elena hinzu.
Ich erröte, als ich mich daran erinnere, wie Paul mit seinen warmen Lippen die empfindliche Innenseite meines Handgelenks geküsst hat. Vielleicht hat sie recht. Wir sind keine Kinder mehr. So wie Paul mich anschaut – als würde er sich auch gerade an den Kuss erinnern, und als ob er sich gern noch andere Freiheiten herausnehmen würde, wenn ich es zulassen würde. Kein Mann hat mich jemals so angesehen. Es ist ein aufregendes Gefühl.
Trotzdem habe ich keine Lust, mir von Elena sagen zu lassen, was ich zu tun oder zu lassen habe, und erst recht nicht, dass sie uns begleitet und unsere Unterhaltung belauscht. Ich bin schon nervös genug.
»Wo ist Lily? Lily!«, rufe ich.
Unser Dienstmädchen kommt aus der Küche und trocknet sich die Hände an der Schürze ab. »Miss Cate? Ich war gerade dabei, Mrs O’Hare beim Abendessen zu – «
»Macht nichts. Nimm deinen Mantel. Mr McLeod und ich brauchen eine Anstandsdame für unseren Spaziergang.«
Lily hat wunderschöne, sanftmütige braune Kuhaugen. »Sehr wohl, Miss.«
Sobald ich ordentlich in meinen Mantel gehüllt bin, beginnen Paul und ich unseren Spaziergang durch den Garten. Lily folgt uns in diskretem Abstand. Gänse fliegen in schwarzen Formationen über uns hinweg, und ihre Schreie hallen von der Himmelskuppel wider.
»Entschuldige all das Chaos. Meine Schwestern – «
»Sind bezaubernd wie immer«, beendet Paul meinen Satz. »Kein Grund, sich zu entschuldigen.«
»Sie sind ungezogene Biester!« Nach dem, was sich die beiden heute vor Elena und Paul geleistet haben, glaube ich langsam wirklich, dass wir eine Gouvernante brauchen.
»Sie sind einfach sehr ausgelassen«, sagt Paul. »Es muss toll sein, Schwestern zu haben. Du kannst froh sein. Als Einzelkind ist es manchmal ganz schön einsam.«
Ich kann mich nicht mehr an die Zeit erinnern, bevor Maura anfing, mir hinterherzutapsen, mich an den Haaren zu ziehen und sich mein Spielzeug in den Mund zu stecken. »Ist das so?«
»Manchmal. Nimm zum Beispiel Vaters Schulden. Wenn ich einen Bruder gehabt hätte, mit dem ich die Last hätte teilen können, dem ich mich hätte anvertrauen können – das wäre eine große Erleichterung gewesen.«
»Du kannst dich mir anvertrauen«, schlage ich vor. »Wir waren doch wie Bruder und Schwester, als wir aufgewachsen sind, oder?«
Pauls Gesicht verdüstert sich. »Bin ich das denn immer noch für dich? Ein Bruder?«
Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich war ja noch ein Kind, als er weggegangen ist. Ich habe schon ab und zu einmal daran gedacht, ihn zu heiraten, aber das war keine romantische Schwärmerei, sondern vielmehr eine praktische Lösung für meine Zukunft. Und ich habe zwar zärtliche Erinnerungen an den Jungen, der mich durch die Gärten gejagt hat, aber der bärtige Mann, der jetzt vor mir steht, ist ein Fremder. Wir können nicht einfach da weitermachen, wo wir aufgehört haben.
»Ich kann dir versichern, Cate, dass ich nicht als Schwester von dir denke.« Paul bleibt stehen. Fährt sich mit einer Hand über den Bart. Tritt von einem Fuß auf den anderen. Er wird ein bisschen rot, als er mich endlich ansieht. »Du wusstest schon immer, was du willst, und ich will dich nicht drängen. Wir haben vor Dezember noch jede Menge Zeit, uns wieder miteinander vertraut zu machen.«
Dezember? Im Dezember muss ich meine Verlobung bekannt geben. Will er damit andeuten – ?
Ich stehe da und starre vor mich hin, bis Lily uns fast eingeholt hat. Als sie meinem Blick begegnet, hastet sie zurück und murmelt Entschuldigungen vor sich hin.
»Tut mir leid. Das war etwas direkt, oder?« Paul lächelt mich verlegen an. »Das sollte kein – das
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