Töchter des Mondes, Band 01: Cate (German Edition)
gezogen, sodass es ihr in sanften Wellen über die Schultern fällt. Warum haben wir diese Unterhaltung hier, vor ihr?
»Nein«, blafft Sachi auf einmal und schlägt Rory eine kleine Flasche aus der Hand. Sie rollt über den Teetisch aus Rosenholz. »Willst du etwa so werden wie sie und schon nachmittags betrunken sein?«
Rory lässt sich auf das Sofa sinken. »Nein«, sagt sie kläglich. »Aber ich wollte auch nichts von dem hier.«
Da fällt der Groschen. »Bist du etwa auch eine Hexe?«
»Warum auch nicht?« Rory beißt die Zähne zusammen, wobei ihr Überbiss betont wird, und starrt die Flasche an. » Evanesco «, murmelt sie, und die Flasche verschwindet.
»Gut gemacht«, lobt Sachi.
Das ist ohne Zweifel der merkwürdigste Nachmittag meines Lebens.
Anscheinend sind meine Schwestern und ich doch nicht die einzigen Hexen in der Stadt.
»Der Alkohol – er schwächt die Magie«, erklärt Rory. »Damit fühle ich sie nicht die ganze Zeit.«
»Damit fühlst du gar nichts, das ist das Problem«, sagt Sachi. »Du musst deine Sinne beieinanderhalten. Bruder Winfield ist sehr darauf aus, einen Grund zu finden, warum Nils dich nicht mehr sehen sollte.«
Rory legt sich quer über das Sofa und tritt ihre aufgebauschten, gelben Röcke aus dem Weg. Dabei lässt sie gedankenlos Krümel auf den abgewetzten Teppich fallen. »Was soll mich das kümmern.«
»Wir brauchen Nils. Er hilft dir, den Anschein zu wahren«, erklärt Sachi geduldig, als ob sie es schon hundertmal zuvor gesagt hätte. Es ist der gleiche Ton, den ich bei Tess und Maura immer anschlage.
Ich denke daran, wie Rory Nils immer anlächelt, wie sie ihn ständig berührt. »Das ist alles bloß gespielt? Du liebst ihn gar nicht wirklich?«
Rory lacht bellend. »Himmel, nein. Er ist dumm wie Brot. Aber gut aussehend, nicht wahr?«
Ich runzele die Stirn und Sachi sieht mich streng an. »Oh, du hast bestimmt noch nie jemanden benutzt oder angelogen, um dein Geheimnis zu bewahren?«
Doch, habe ich. Und ich werde es wieder tun.
»Gut«, sage ich. »Du hast recht. Ich bin eine Hexe.«
Es ist gefährlich, die Worte laut auszusprechen. Und es fühlt sich folgenschwer an.
Sachi lächelt. »Beweis es.«
Kapitel 12
Es ist eine Herausforderung, und ich war noch nie eine, die vor Herausforderungen zurückschreckt. Nicht wenn Paul mich aufgefordert hat, auf einen Apfelbaum zu klettern oder auf der Mauer vom Schweinestall zu balancieren, und erst recht nicht jetzt.
Ich blicke auf den Tisch, auf die malerische Waldszene, die an der Stelle in die Platte geschnitzt ist, wo Rory ihre Flasche hat verschwinden lassen. Ich kann den Zauber darüber spüren, die Magie flimmert praktisch in der Luft. Meine Schwestern und ich sind ungefähr gleich stark, was es schwierig macht, ihren Zauber zu brechen. Offenbar ist es einfacher, wenn die andere Hexe schwächer ist – was bei Rory der Fall zu sein scheint. Ich stoße gegen ihre Magie, bis ihr Zauber bricht und ich die Flasche wieder sehen kann. Das goldbraune Getränk glänzt im Sonnenlicht. Commuto, denke ich. Aber es ist immer noch bloß eine Flasche. Ich nehme einen tiefen Atemzug. Doch meine Magie fühlt sich schwach an, hauchdünn und zittrig.
»Vergiss alles andere und konzentrier dich«, sagt Sachi. Ich erwarte Hohn in ihrem Blick, aber sie lächelt, als ob sie es nicht abwarten könnte, zu beobachten, wie es mir gelingt. Mutter hat mich nie so angesehen, wenn ich geübt habe. Alles, was mit Magie zu tun hatte, verunsicherte sie.
Sachi hat recht. Finn – die Prophezeiung – Elena – das Wissen, dass meine Schwestern und ich nicht die einzigen Hexen in der Stadt sind – es schwirrt mir alles im Kopf herum und zerstreut mich. Ich kann von Glück sagen, dass ich das Wohnzimmer nicht in eine Voliere verwandelt habe. Ich hole noch einmal tief Luft und fülle meine Gedanken mit einer einzigen Absicht, während ich den Zauberspruch immer wieder vor mich hin sage.
»Commuto« , sage ich schließlich laut und deutlich.
Jetzt hockt ein Spatz auf dem Tisch, wo eben noch die Flasche lag. Braune Federn, weiße Brust. Rory springt kreischend auf.
»Ich wusste es.« Sachi wirft triumphierend die Hände in die Luft. »Schön gemacht, Cate.«
»Das ist nicht schön, das ist entsetzlich. Vögel tragen Krankheitserreger in sich!«, protestiert Rory.
»Wirkliche Vögel tun das.« Sachi schiebt die schweren Samtvorhänge beiseite und öffnet das Fenster hinter ihr. Kühle Luft strömt ins Zimmer.
»Avolo« , sagt sie, und
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