Töchter des Mondes, Band 01: Cate (German Edition)
so einfach, wie es aussieht. Die Dinge – nun, sie bewegen sich nicht immer dahin, wohin ich sie haben will«, erklärt Rory.
Sachi sieht Rory von der Seite an. »Wenn du nicht so viel trinken würdest, wäre deine Konzentration – «
»Agito« , unterbricht Rory sie, und eine dicke, in Leder gebundene Bibel fliegt aus dem Bücherregal durchs Zimmer direkt auf Sachis Kopf zu.
»Desino« , feuert Sachi zurück, und das Buch fällt gefahrlos zu Boden. »Sehr gut, Rory.«
»Dann hör auf, mich zu belehren, und lass es Cate versuchen.«
»Ich? Hier?« Ich blicke nervös zum Flur. Ich habe noch nie vor jemand anders als Mutter oder Maura und Tess gezaubert. Vögel und Federn mal außer Acht gelassen. Ich bin auf einmal so verlegen, als ob Rory mich aufgefordert hätte, mich auszuziehen.
»Mach dir keine Sorgen. Elizabeth ist zum Markt gegangen, und Rorys Mutter wird bis zum Abendessen nicht runterkommen«, sagt Sachi mit einem Blick an die Zimmerdecke.
Aber es ist eine neue Art von Zauber. Wer weiß, was dabei alles schiefgehen kann?
»Es macht nichts, wenn irgendwas kaputtgeht«, sagt Rory, die immer noch ausgestreckt auf dem Sofa liegt. »Mutter fällt es nicht auf, wenn Geschirr fehlt.«
»Alles, was du tun musst, ist, dich auf einen Gegenstand zu konzentrieren und darauf, wo du ihn hin haben willst. Du musst den Ort ganz genau festlegen. Wenn du abgelenkt wirst, landet er vielleicht irgendwo anders«, weist Sachi mich an. »Agito ist das beste Zauberwort, obwohl ich manchmal auch Avolo benutze, damit es schneller geht. Wenn du etwas in Bewegung gesetzt hast, kannst du es mit Desino wieder anhalten.«
Ich bin nicht besonders sprachbegabt, aber das bisschen Latein erkenne sogar ich. Ich setze meine Teetasse ab. »Agito?«
Sie bewegt sich nicht. Ich versuche es noch einmal, entschiedener. Ich stelle mir die Tasse zehn Zentimeter weiter rechts vor. »Agito!«
Immer noch nichts. Vor lauter Frust schnürt sich mir die Kehle zu.
Beschämt sehe ich Sachi an. »Ich kann es nicht.«
Sachi lacht nur. »Du kannst doch nicht erwarten, es innerhalb von zwei Minuten zu lernen. Guck uns ein bisschen zu.«
Rory setzt sich auf, und die beiden rufen Zaubersprüche aus und lassen Dinge durch den Raum fliegen: Bücher, Kissen, Rorys Schuhe, die Zuckerdose. Rory zieht eine Nadel aus Sachis Haar, und im nächsten Augenblick schwebt das Sofa ein paar Zentimeter über dem Boden – mit Rory quietschend obendrauf. Sie spielen mit der Magie, wie ich es noch nie vorher erlebt habe. Es sieht richtig nach Spaß aus.
Ich wünschte, die Dinge wären anders. Ich wäre anders.
Mutterhatesimmersehrdeutlichgesagt:MagieistnichtszumSpielen.MagischeKräftegeerbtzuhaben,istkeineGabeoderetwas,woraufichstolzseinkann.EsisteineLast,undzwareineschwere,undichmusstelernen,damitumzugehen,umsieunterKontrollezuhalten.
Wie wäre es wohl gewesen, ohne all ihre Warnungen zaubern zu lernen, ohne ihre Angst und ihren Schrecken, die unsere Übungsstunden ständig begleitet haben? Würden die Vorträge der Brüder mir dann trotzdem noch Schuldgefühle bereiten?
»Versuch es weiter«, fordert Sachi mich auf, und ich gehorche. Einmal klappert die Teetasse vielversprechend, und Sachi und Rory halten in ihrem Tun inne, um zu mir hinüberzusehen. Ich versuche es noch einmal. Dieses Mal schießt die Tasse ganze zehn Zentimeter zur Seite.
Rory steckt sich zwei Finger in den Mund und pfeift anerkennend. »Großartig! Ich habe Wochen gebraucht, um das zu lernen.«
»Ich auch! Das ist wirklich beeindruckend«, ruft Sachi aus. »Du musst eine Begabung für diese Art von Magie haben.«
Ich sehe sie misstrauisch an, aber sie meint es ernst. Sie glaubt wirklich, dass ich gut bin. Himmel, ich habe diese Mädchen wirklich falsch eingeschätzt.
Eine halbe Stunde später steige ich in unsere Kutsche. Sachi und Rory stehen winkend am Tor und versprechen, am Dienstag zu unserem Nachmittagstee zu kommen. Die Kutsche rumpelt ganz schön über die Pflastersteine, doch ich bin so erschöpft, dass ich auf der Stelle einschlafen könnte. Ich fühle mich, als hätte mir jemand mit einer Schaufel auf den Kopf geschlagen; hinter den Schläfen macht sich ein dumpfer Schmerz bemerkbar, und meine Beine sind schwer wie Blei. Hat Mutter uns vielleicht deswegen nichts vom Bewegungszauber erzählt? Wollte sie damit warten, bis wir älter und stärker sind?
Aber sie wusste, dass sie sterben würde. Wenn sie wirklich so besorgt um uns war, hätte sie uns alles beibringen sollen, wozu
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