Töchter des Mondes - Sternenfluch (German Edition)
Hälfte von ihnen wird sich nicht daran erinnern. Das Laudanum spielt dem Gedächtnis merkwürdige Streiche.« Zara senkt die Stimme zu einem heiseren Flüstern. »Ich bin hier schon lange genug, um mich an die Dosis gewöhnt zu haben. Ich tue beschränkter als ich bin, aber ich habe meinen Verstand immer noch beisammen. An manchen Tagen erfordert es eine verdammte Menge an Willensstärke, nicht um mehr zu betteln. Ich kann es den anderen wirklich nicht verübeln, dass sie es tun.«
»Dafür habe ich auch einen Plan.« Ich bin gerade fertig damit, ihr zu erklären, was Mei und ich vorhaben, als Tess auf einmal mit zuckenden Augenlidern rückwärts auf das Bett fällt. Ihr Kopf schlägt gegen die Betonmauer.
»Tess? Tess!«, rufe ich und ziehe ihren schlaffen Körper in meine Arme.
»Sch!«, ermahnt mich Zara, geht zur Tür und späht hinaus.
»Tess?« Ich schüttle sie leicht. Ausgerechnet jetzt muss sie eine Vorhersehung haben. Ich habe noch nie erlebt, dass sie davon so stark in Besitz genommen wird.
Tess öffnet die Augen und sieht mich benommen an. Ihr Atem stockt. »Oh, Cate.« Sie rückt von mir ab und presst sich beide Hände auf den Mund, als müsste sie sich übergeben. Sie schließt die Augen, nimmt mehrere tiefe Atemzüge. Ihr herzförmiges Gesicht – wie das von Maura, wie das von Mutter – ist ganz blass geworden.
Zara steht mit dem Rücken zur Tür, sodass niemand durch das Guckloch hereinsehen kann.
»Geht es dir gut?«, frage ich und berühre sie am Knie.
Tess nickt, aber der Blick ihrer grauen Augen ist gequält. »Es wird klappen. Ich habe es gesehen. Schwester Sophia hat einen Wagen voller Mädchen gefahren. Ich habe ein paar der Aufsässigen wiedererkannt. Es war kurz vor Morgengrauen, glaube ich; der Himmel war rosafarben, und sie fuhren einen langen Weg auf ein seltsames Haus zu. Es war auch rosafarben, mit Türmchen und einer kleinen Dachterrasse, und es lag am Meer. Ich konnte die Wellen und die Möwen hören; ich konnte sogar das Salzwasser schmecken. Es war so merkwürdig.« Sie presst sich eine Hand an die Schläfe, und jetzt spüre ich den roten Nebel ihrer Kopfschmerzen lodern.
»Ich … ich kenne das Haus. Ich war schon einmal da.« Zaras Stimme ist nur ein Krächzen, und sie räuspert sich. »Es gab einmal eine Gruppe von Gelehrten, die den Töchtern von Persephone sehr wohlwollend gegenüberstanden. Sie wurden oft genug von den Brüdern verdächtigt, sodass sie Häuser brauchten, wo sie sich verstecken konnten. Das war eins davon.«
»Kannst du uns sagen, wo es sich befindet?«, frage ich.
Ein breites Grinsen erscheint auf Zaras schmalem Gesicht. »Wenn ihr etwas zum Schreiben habt, kann ich euch sogar eine Karte zeichnen.«
Tess zaubert ein gefaltetes Blatt Papier und einen Bleistiftstummel hervor, und mit zitternden Händen reicht sie beides Zara.
»Lass mich deine Kopfschmerzen heilen«, sage ich, und sie nickt und lehnt sich in ihren grauen Umhang gekuschelt gegen die Wand. Zara beginnt die Karte zu zeichnen, und für einen Moment ist das Kratzen des Bleistifts auf dem Papier das einzige Geräusch im Raum.
Nach meiner Heilarbeit im Krankensaal und nach Cora sind Tess’ Kopfschmerzen nichts. Mir ist nur einen kurzen Augenblick leicht schwindelig. Um Tess mache ich mir viel mehr Sorgen. Sie seufzt leise, als ihre Kopfschmerzen verschwinden, aber ihr Gesicht ist immer noch von Kummer gezeichnet. Wenn sie gesehen hat, dass wir Erfolg haben werden, warum ist sie dann so verzweifelt? Ein sicheres Versteck zu haben wäre ein Segen, denn im Kloster können wir nur ein paar der Mädchen unterbringen. Ich hatte mich schon die ganze Zeit gefragt, was mit den anderen passieren soll, sobald wir sie befreit haben.
Dem Herrn sei Dank, dass Tess jetzt ihre Vorhersehung hatte und nicht vor fünfzehn Minuten, als wir mit einem Dutzend Zeuginnen im Trakt der Aufsässigen waren. Tess ist im Moment nicht in der Lage zu zaubern, und meine Gedankenmagie alleine hätte dafür nicht ausgereicht.
Es war verrückt, sie mit hierher zu nehmen.
»Da.« Zara reicht uns die Karte. Ihre Pupillen sind jetzt wieder normal; der Schock scheint sie zu sich gebracht zu haben. »Es dauert eine ganze Nacht, dort hinzufahren, aber es ist das nächste der drei Häuser, die wir hatten. Ein Ehepaar hat das Haus geführt – John und Helen Grayson. Und es gab eine Losung. Vielleicht ist es inzwischen eine andere, aber damals lautete sie corruptio optimi pessima.«
»Die Verderbtheit der Besten ist die
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