Töchter des Mondes - Sternenfluch (German Edition)
schlimmste«, übersetzt Tess.
Zara nickt. Sie sieht Tess fasziniert an, als wäre sie ein Engel auf Erden. »Du … du bist die Seherin.« Sie senkt den Kopf und lacht schüchtern. »Ich … oh, ich habe so viele Fragen an dich. Ich habe gehofft, dass ich eines Tages … Ich habe noch nie mit einer Seherin gesprochen, die nicht vom Wahnsinn befallen war.«
Tess beißt sich auf die Unterlippe. »Waren sie alle verrückt?«
»Brenna, ja, und Thomasina vor ihr auch. Ich weiß nicht, wie sich Marcela entwickelt hätte; sie ist nicht älter als fünfundzwanzig geworden.« Tess zuckt zusammen, und Zara streckt die Hand nach ihr aus. »Tut mir leid. Ich wollte dir keine Angst …«
»Nein. Ich will alles wissen. Deswegen bin ich hier.« Tess zieht die Füße unter sich aufs Bett, dann streicht sie ihre rosafarbenen Röcke um sich glatt. »Dein Buch war sehr hilfreich. Ich habe es zweimal gelesen, als die Vorhersehungen anfingen. Ich habe mich dadurch weniger allein gefühlt«, vertraut sie sich Zara an, und Zaras Lächeln ist von einer solchen Wärme, dass sie damit den Schnee auf dem Hang draußen schmelzen könnte.
Tess braucht mehr Mütterlichkeit, mehr mütterlichen Rat, als ich ihr geben kann.
»Ich weiß, dass die Schwesternschaft sich dir gegenüber schrecklich verhalten hat, Zara«, beginne ich zögerlich und winde die Hände im Schoß. »Ich könnte es verstehen, wenn du zu einem der geheimen Unterschlüpfe wolltest oder irgendwo ganz anders hin. Aber ich würde mich sehr freuen, wenn du mit zu uns ins Kloster kommen würdest. Du wärst Tess eine große Hilfe – und mir auch.«
Tess sitzt vollkommen reglos neben mir, als würde sie die Luft anhalten.
Zara sieht mich mit ihren dunklen Augen lange nachdenklich an. Dann berührt sie den goldenen Anhänger an ihrem Hals. »Ihr seid Annas Mädchen. Wenn ihr mich hier herausbekommt, dann werde ich mit euch gehen.«
Tess bricht in Tränen aus und wirft sich Zara um den Hals.
»Danke«, sage ich aus tiefstem Herzen.
Zara breitet die Arme aus. »Ich habe zu danken«, sagt sie gerührt. Ich denke daran, wie leicht Tess ihre Zuneigung zeigen kann, wie sie mich immer umarmt und zwickt, wie wir uns gegenseitig Zöpfe flechten und die Schärpen umbinden. Wie lange ist es her, dass Zara so etwas erlebt hat, den einfachen Trost einer menschlichen Umarmung?
Zara lächelt mich über Tess’ Schulter hinweg an. »Ihr seid starke Mädchen. Und klug. Ich wünschte, Anna könnte euch sehen. Sie wäre so stolz auf euch.«
»Meinst du?« Ich sehe auf die hässliche Betonwand. »Manchmal denke ich, es wäre ihr lieber, wir würden uns, so weit es geht, von alldem hier fernhalten. Mutter hat ihre Magie gehasst.«
Doch Zara schüttelt den Kopf, während Tess sich wieder auf die kratzige braune Decke neben mich setzt. »Das war aber nicht immer so. Als wir noch Mädchen waren, waren wir beide sehr froh darüber, Hexen zu sein. Aber Anna hat ihre Magie auf eine Weise benutzt, die sie später bereut hat, und das hat sie verbittert. Letztendlich hat sie ihre Gabe für einen Fluch gehalten.«
Ich verschränke meine Hände fester miteinander, um ihr Zittern zu verbergen. Das könnte die Gelegenheit sein, endlich Antworten auf meine Fragen zu erhalten. »Wozu hat die Schwesternschaft sie gezwungen?«
Zara blickt zögernd aus dem Fenster. Es gibt nichts weiter zu sehen als den grauen Himmel, den weißen Schnee und den roten Speicher des angrenzenden Bauernhofs auf der anderen Seite des Hügels. »Das ist das Geheimnis eurer Mutter, nicht meines.«
»Aber sie hat es uns nicht verraten«, sage ich und wippe ungeduldig mit dem Fuß. »Es gibt so vieles, was sie uns nie erzählt hat. Ich werde niemals vergessen, wie sie mich angesehen hat, als sie gemerkt hat, dass ich Gedankenmagie kann. Sie war entsetzt.«
Zara beugt sich vor und stützt die Ellbogen auf ihre kantigen Knie, wie eine Puppe, die nur aus rechten Winkeln besteht. »Nicht über dich, Cate. Sie war beschämt über sich selbst. Was das Herz deiner Mutter gebrochen hat, war nichts, wozu die Schwestern sie gezwungen haben. Es war etwas, wozu sie sich selbst entschieden hat.«
Tess und ich rücken auf dem Bett näher aneinander heran.
»Ihr müsst wissen, dass sie euren Vater sehr geliebt hat«, erklärt Zara. »Ich kann mich noch daran erinnern, wie es war, als sie sich gerade erst kennengelernt hatten. Brendan war bloß ein Student der Klassischen Altertumswissenschaften, aber Anna war das egal. Sie war so glücklich und
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