Töchter des Mondes - Sternenfluch (German Edition)
hatte es sehr eilig, eine Familie zu gründen und das Kloster zu verlassen. Sie war schon immer besonders romantisch veranlagt gewesen.«
Ich nicke. Ich kann mich noch daran erinnern, wie meine Eltern immer Hand in Hand lachend durch die Gärten spaziert sind, als es Mutter noch gut genug ging. Vater war manchmal richtig glücklich, als sie noch am Leben war.
»Aber sie hat ihm nie von ihren magischen Fähigkeiten erzählt«, werfe ich ein. Das scheint mir doch eine sehr große Auslassung zu sein. Eine zu große Lüge, als dass eine Ehe es verkraften könnte.
»Da«, sagt Zara, »liegst du leider verkehrt.«
Aber Vater weiß nichts von unserer Magie. Er hat nie eine Andeutung gemacht – und Mutters Anweisungen waren klar: Wir sollten unsere magischen Fähigkeiten vor allen geheim halten, selbst vor Vater. Wenn er von ihrer Magie gewusst hat …
Mein Vertrauen in ihn ist nicht das beste, aber er hätte sie niemals verraten.
Was bedeutet, dass sie …
Tess kommt eine Sekunde vor mir zum selben Schluss. Sie springt vom Bett auf. »Hat sie etwa sein Gedächtnis ausgelöscht?«
Ich werde von Wut erfasst. Warum hat Mutter uns eines Vaters beraubt, der uns beschützen könnte, der uns so kennt und so liebt, wie wir sind?
»Zu seiner eigene Sicherheit und zu eurer«, sagt Zara sanftmütig. »Er hätte alles für Anna getan. Als ich bei den Brüdern in Verdacht geriet, war sie besorgt, dass sie die Nächste sein könnte – und dass Brendan im Falle ihrer Verhaftung in seiner Verzweiflung etwas Unüberlegtes tun würde, um sie zu beschützen. Dann wären eure Eltern beide fort gewesen.«
»Das wäre auch nicht anders gewesen«, murmle ich. Vater ist ständig unterwegs auf Geschäftsreisen, und auch wenn er zu Hause ist, ist er nicht wirklich anwesend.
»Oh doch. Wenn ihr allein zurückgeblieben wärt, hätte die Schwesternschaft sich eurer angenommen, auch wenn sich eure magischen Kräfte noch nicht gezeigt hätten. Und wegen der Prophezeiung wärt ihr getrennt worden. Eure Mutter wollte das nicht. Sie wollte, dass ihr zusammen eine normale Kindheit verlebt, ganz egal, was eure Bestimmung ist.«
Bestimmung . Das Wort hört sich so grandios an, und doch steckt ein so schreckliches Schicksal dahinter. Eine von uns wird das zwanzigste Jahrhundert nicht mehr erleben. Eine von uns wird von einer anderen ermordet.
»Später hat sie es dann bereut – dass sie es eurem Vater verwehrt hat, euch richtig zu kennen. Sie richtig zu kennen. Doch nachdem sie sein Gedächtnis erst einmal ausgelöscht hatte, musste sie den Schein aufrechterhalten. Sie hatte Angst davor, wie er reagieren würde, sollte er es jemals herausfinden.«
Oh Gott. Seit ich weiß, dass ich eine Hexe bin, habe ich mich über meinem Vater geärgert, habe ich ihn für jemanden gehalten, den wir täuschen und verachten mussten, statt in ihm jemanden zu erkennen, der uns lieben und beschützen würde. Es ist schwierig, das zu begreifen; ich bin so sehr daran gewöhnt, ihn für schwach zu halten.
»Ich habe es doch gewusst«, schluchzt Tess. »Er hat weiß Gott seine Fehler – und ich habe die gleichen. Aber ich habe es nie verstanden, warum Mutter es vor ihm geheim gehalten hat.«
Tess war erst neun, als Mutter starb und Vaters Geschäftsreisen länger und länger wurden. Tess ist immer mit einer Leichenbittermiene herumgelaufen, wenn er abreiste, und machte sich Sorgen, dass er mit der Kutsche einen Unfall haben, ausgeraubt werden oder in der Stadt an Grippe erkranken könnte, wo sich niemand um ihn kümmern würde. Sie war immer viel abhängiger von ihm – und wollte es so – als Maura und ich es waren.
Ich blicke auf den zerkratzten Holzboden. Allein der Gedanke kommt mir schon vor wie Verrat, aber ich muss ihn aussprechen. Für Tess. »Ich habe Mutter geliebt, aber ich glaube, damit hat sie einen Fehler gemacht.«
Tess nickt. »Vater sagte, er würde Weihnachten nach New London kommen, um gemeinsam mit uns zu feiern. Ich will ihm die Wahrheit sagen. Ich bestehe darauf, es ihm zu erzählen.«
Mit dem spitzen, nach vorne gereckten Kinn und den zu Fäusten geballten Händen drückt Tess’ gesamte Haltung aus, dass sie auf eine Auseinandersetzung vorbereitet ist. Dabei besteht sie sonst eigentlich nicht auf besonders viel. Sie will normalerweise bloß Frieden und Stille und Bibliotheken voller Bücher, und das Recht, diese Bücher zu lesen.
Ich stehe auf. »Na gut.«
»Er verdient es, uns zu kennen. Wir verdienen es, dass er uns kennt, und …
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