Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Töchter des Mondes - Sternenfluch (German Edition)

Töchter des Mondes - Sternenfluch (German Edition)

Titel: Töchter des Mondes - Sternenfluch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Spotswood
Vom Netzwerk:
nehme ich an: absolute Abhängigkeit.
    »Gibt es spezielle Bestimmungen für Witwen?«, fragt Schwester Gretchen, die selbst verwitwet ist. Doch da sie keine Kinder hat, konnte sie nach dem Tod ihres Ehemanns zur Schesternschaft zurückkehren.
    Bruder O’Shea schüttelt den Kopf. »Die einzige Ausnahme ist diejenige für Krankenpflegerinnen – wegen der Bedürftigen, Sie verstehen. Nun. Das zweite Gesetz, das ebenso mit sofortiger Wirkung in Kraft tritt, untersagt es, Mädchen das Lesen beizubringen. Bei denen, die bereits des Lesens mächtig sind, können wir natürlich nichts mehr dagegen tun, aber für die Zukunft halten wir es für unnötig, wenn nicht gar gefährlich. Mädchen sollten sich auf das Wissen ihrer Väter, ihrer Ehemänner und der Bruderschaft verlassen. Sie brauchen kein anderes Wissen.«
    Schweigen erfüllt den Raum. Nur das Zischen der Gaslampen neben dem Kaminsims ist noch zu hören.
    Ich sehe Schwester Cora und Schwester Gretchen an, die mit ausdruckslosen Mienen dasitzen.
    Ich kann mir ein Leben ohne Bücher nicht vorstellen.
    Ohne Vaters Geschichten von alten griechischen Gottheiten, ohne Piratengeschichten und Märchen und Gedichte. Ohne die Hoffnung auf ein anderes Leben, auf Freiheit und Abenteuer, auf etwas anderes, als wir hier und jetzt erleben. Wie traurig wäre das Leben ohne solche Geschichten.
    Ich denke an die Menschen, die ich liebe, denen ich mein Leben anvertrauen würde. An Maura. Tess. Finn. Marianne. Sie alle sind vernarrt in Bücher. Was wird dieses neue Gesetz mit ihnen machen?
    Als ich merke, dass ich meine Hände zu Fäusten geballt habe, versuche ich, meine Finger zu entspannen. Ich sollte besser nicht so aussehen, als würde ich eine Schlägerei anfangen wollen.
    »Sie müssen ihre Gouvernanten abberufen«, erklärt Bruder O’Shea.
    »Ich verstehe.« Schwester Cora spricht mit ruhiger Stimme, doch ihre Schultern sind starr. »Ich werde ihnen sofort schreiben. Wird unsere Schule denn weiterhin geöffnet bleiben?«
    »Vorerst«, antwortet O’Shea, aber die Knappheit seiner Auskunft wie auch sein verbissener Gesichtsausdruck machen deutlich, dass er damit alles andere als einverstanden ist. »Freitagabend wird es ein Feuer auf dem Richmond Square geben, wie auch in jeder anderen Stadt in den kommenden Tagen. Wir rufen die Gläubigen dazu auf, Bücher aus ihren privaten Sammlungen mitzubringen – Erzählungen und Märchen und Derartiges –, um sie zu verbrennen.«
    Entsetzt schlage ich mir die Hand vor den Mund. Bruder O’Shea blickt mich mit seinen blassen Augen an.
    »Entschuldigen Sie, Sir«, stoße ich keuchend hervor, während ich ein Husten vortäusche.
    Er versteift sich auf dem Sofa, sein Rücken ist kerzengerade. »Wir vertrauen darauf, dass die Schwesternschaft auch etwas dazu beiträgt.«
    »Oh, ja«, antwortet Schwester Cora und setzt sich auf dem glatten Seidensessel zurecht. »Sie können wie immer auf uns zählen.«
    »Ich bin froh, das zu hören.« Er beugt sich vor und mustert uns eindringlich. »Doch das Wichtigste kommt noch: Wir haben in der Irrenanstalt von Harwood eine Hellseherin entdeckt.«
    Ich darf jetzt keinerlei Gefühlsregung zeigen. Brenna Elliott. Es muss Brenna sein.
    »Eine Hellseherin?«, wiederholt Schwester Cora. »Sind Sie sicher?«
    Er nickt. »Wir beobachten sie bereits seit einigen Wochen. Zuerst waren es bloß Kleinigkeiten. Der Sturm, den wir neulich hatten, der Name eines Mädchens, das die anderen beklaute, der Säugling einer Pflegerin, der am Fieber starb.« Ich kann mir kaum vorstellen, dass das für die Pflegerin eine Kleinigkeit war. »Die Pflegerin hat sie beschuldigt, das Kind verflucht zu haben, und da sind wir auf sie aufmerksam geworden. Sie sagt, dass eine andere Hellseherin kommen wird – eine, die die Macht hat, die Herzen der Menschen wieder den Hexen zuzuwenden, denn sie soll zudem eine mächtige Hexe sein, eine, die mit Gedankenmagie verwünscht ist.«
    »Meinen Sie etwa …?«, Cora führt die Frage nicht zu Ende.
    Für einen Augenblick zeichnet sich Furcht auf O’Sheas schmalem Gesicht ab. Dann schluckt er, sein Adamsapfel bewegt sich auf und ab, und der Moment ist vorbei. »Ja. Diese neue Hellseherin, die kurz davor steht, ihre Kräfte zu entdecken, ist die Hexe aus der Prophezeiung. Die, die wir bereits seit hundert Jahren suchen.«
    Oh. Ich werde ganz still. So still, dass ich das Blut durch meine Adern rauschen fühle und die Luft, die in meine Lunge gesogen und wieder ausgestoßen wird. Ich bin eine

Weitere Kostenlose Bücher