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Töchter des Mondes - Sternenfluch (German Edition)

Töchter des Mondes - Sternenfluch (German Edition)

Titel: Töchter des Mondes - Sternenfluch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Spotswood
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Sie betritt ihr dunkles Klassenzimmer, geht bis nach vorne zu dem mächtigen Pult aus Eichenholz und setzt sich kerzengerade dahinter.
    »Die Zeiten sind düster für die Töchter von Persephone, Miss Cahill, und vermutlich werden sie noch schlimmer. Die Brüder haben uns heute Abend daran erinnert, wozu sie imstande sind.« Sie ordnet einen Haufen Aufsätze und legt sie beiseite. Obenauf erkenne ich Rillas unordentliche Schrift. »Ich denke, es ist an der Zeit für uns, es ihnen gleich zu tun. Und dafür brauchen wir eine Anführerin. Ein trauriges, durch die Gänge streunendes Kind wird leider nicht ausreichen. Sie müssen stark sein für die Mädchen.«
    »Ich bin stark«, entgegne ich irritiert und straffe die Schultern.
    »Dann beweisen Sie es.« Sie berührt die Brosche aus Elfenbein an ihrem Hals. Wie immer trägt sie von Kopf bis Fuß schwarzen Bombasin, ohne irgendwelche schmückenden Details, bis auf diese Brosche.
    »Ich habe bisher alles getan, worum ich gebeten wurde. Wenn es noch etwas gibt, das ich tun kann, lassen Sie es mich wissen, und ich werde es tun.« Ich habe alles hinter mir gelassen. Finn. Meine Schwestern. Meinen Garten. Ich habe alle, die ich liebe, verlassen, um hierherzukommen und auf diese Weise meine geliebten Menschen zu beschützen. Was könnte ich sonst noch aufgeben?
    »Gedankenmagie«, sagt Inez leise. »Das ist unsere größte Waffe gegen unsere Feinde. Ich will sehen, wozu Sie wirklich fähig sind.«
    Zögernd blicke ich auf das dicke, in Leder gebundene Wörterbuch auf dem Pult. »Ich soll an Ihnen Gedankenmagie praktizieren?« Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine der anderen sich freiwillig dafür zur Verfügung stellen würde, doch sie scheint mir auch keine zu sein, die gerne die Kontrolle aufgibt.
    »Nein.« Schwester Inez’ Mundwinkel zuckt, als hätte ich etwas vollkommen Abwegiges gesagt. »Ich will, dass Sie ins Wohnzimmer gehen und so viele Mädchen wie möglich dazu bringen, zu mir zu kommen.«
    Die Gaslampe auf ihrem Schreibtisch zischt. Der blaue Lampenschirm ist mit einer dichten Staubschicht überzogen. Schwester Inez scheint keinen besonderen Wert auf Raumdekoration zu legen. Dem Klassenzimmer fehlt jede persönliche Note. Es gibt keinerlei Bilder oder frische Blumen oder hübsche Vasen. »Bei solch einfachen Befehlen ist das Risiko, Schaden anzurichten, relativ gering, falls es das ist, was Ihnen Sorge bereitet«, sagt sie.
    Ich beiße mir auf die Lippe. Sicherlich würde sie ihre Schülerinnen keiner unnötigen Gefahr aussetzten, aber …
    »Ich halte es für falsch, ohne die Erlaubnis der Mädchen in ihre Gedanken einzudringen«, erkläre ich. »Vielleicht habe ich bisher noch nicht den Eindruck erweckt, aber ich möchte diese Mädchen als Freundinnen gewinnen. Wie kann ich von ihnen erwarten, dass sie mir vertrauen, wenn ich so etwas tue?«
    »Wenn Sie es richtig anstellen, werden sie es niemals erfahren«, sagt Schwester Inez. »Abgesehen davon sind Sie nicht hier, um Freundschaften zu schließen, Miss Cahill, und Sie sind auch nicht unter ihresgleichen. Sie sind die verkündete Hexe. Die Mädchen brauchen Ihnen nicht zu vertrauen, sie müssen Sie noch nicht einmal mögen; sie sollen Sie respektieren. Und wenn die Mädchen Sie ein wenig fürchten, umso besser.«
    Ihre Worte beunruhigen mich. Vielleicht hat sie recht damit, aber das ist trotzdem nicht die Art von Anführerin, die ich sein will.
    »Warum jetzt?«, frage ich und setze mich hinter ein Pult in der ersten Reihe.
    Inez kneift die braunen Augen zusammen, sodass sich die buschigen Brauen in der Mitte beinahe berühren. »Wollen Sie lieber abwarten, bis die Gefahr direkt bevorsteht, und dann feststellen, dass Sie es nicht können? Ihre Zimperlichkeit enttäuscht mich.«
    Ich falte die Hände auf der zerkratzten Tischplatte. »Ich bin fest davon überzeugt, dass ich es könnte, wenn ich müsste. Aber ich will es nicht nur deshalb tun, um Ihnen zu gefallen. Ich bin kein Leierkasten-Äffchen, das auf Kommando Zaubertricks vollführt.«
    Schwester Inez sieht mich erstaunt an, aber ich halte ihrem Blick stand.
    »Natürlich nicht«, sagt sie schließlich und ordnet noch einmal den bereits perfekt sortierten Stapel Aufsätze, so als bräuchten ihre Hände etwas zu tun. »Es tut mir leid. Ich kann verstehen, dass das alles ziemlich überwältigend für Sie sein muss. Wir wissen ja noch nicht einmal, ob Sie überhaupt die verkündete Hexe sind, jetzt, da diese neuen Prophezeiungen gemacht wurden. Aber

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