Töchter des Mondes - Sternenfluch (German Edition)
Eichentisch zwischen uns, der in der Küche als Arbeitsfläche dient. »Sie brauchen sich gar keine Mühe zu geben, mich für dumm zu verkaufen. Ich habe gesehen, dass Sie nicht alleine waren.«
Betroffen schweige ich. Hat sie es schon weitererzählt? Soll ich ihre Erinnerung daran auslöschen? Wahrscheinlich müsste ich auch Rillas Gedächtnis beschwören, um zu verhindern, dass sie Inez unangenehme Fragen stellt. Meine Gedanken rasen.
»Es gibt keinen Grund, etwas Voreiliges zu tun.« Sogar jetzt trägt Inez ihre schwarze Uniform. Schläft sie etwa darin? Ihr kastanienbraunes Haar ist zu einem langen Zopf geflochten, der ihr bis zur Taille reicht, und obwohl sie fast vierzig sein muss, ist es nur an den Schläfen schon leicht grau. »Ich habe nicht die Absicht, Bruder Belastra zu schaden.«
Ich hänge meinen Umhang an den Haken neben der Tür, obwohl ich Inez nur ungern aus den Augen lasse. Es kommt mir vor, als würde ich einer giftigen Schlange den Rücken zukehren.
Sie trommelt mit ihren langen, knochigen Fingern auf den Tisch, und der Silberring der Schwesternschaft spiegelt das Kerzenlicht wider. »Ich nehme an, Sie sind wieder miteinander ins Reine gekommen? Er vergibt Ihnen, dass Sie ihn verlassen haben?«
Als ob ich ihn jemals hätte verlassen wollen. Ich nicke kurz.
»Und er weiß Bescheid? Er weiß, was die Schwesternschaft wirklich ist? Es hilft nichts, wenn Sie mich anlügen«, fügt sie schneidend hinzu.
»Er wird es niemandem erzählen. Er steht uns sehr viel wohlwollender gegenüber als der Bruderschaft«, versichere ich ihr. Ich stehe immer noch nahe bei der Eingangstür, mit dem Rücken zur Wand, dort, wo die hellgelbe Tapete von grauem Ruß befleckt ist.
»Das ist perfekt.« Inez lächelt. »Bruder Belastra ist allem Anschein nach ein tüchtiger junger Mann. Ein Mitglied des Höchsten Rats, Bruder Denisof, hat gerade eine Stelle als Schriftführer zu besetzen. Wenn Belastra sich darauf bewirbt, könnte ich dafür sorgen, dass er genommen wird. Dann könnte er hier in New London bleiben – und denken Sie doch nur, wie hilfreich es für die Schwesternschaft wäre, einen solchen Verbündeten zu haben.«
Die Idee ist gar nicht mal so schlecht. In ein paar Wochen wird die Tagung des Nationalrats zu Ende sein, und dann wird Finn mit Bruder Ishida nach Chatham zurückkehren müssen. Wer weiß, wann wir uns wiedersehen würden. Ist es egoistisch von mir, so zu denken?
»Ich würde Sie natürlich darum bitten, dass diese Vereinbarung unter uns bleibt. Sie dürfen niemandem davon erzählen, noch nicht einmal Cora«, sagt Schwester Inez.
Ich nähere mich ihr ein Stück. Die Kupfertöpfe an der steinernen Wand hinter dem Herd glühen regelrecht im Kerzenlicht. »Aber sie hat doch bereits einen Spion im Höchsten Rat, oder nicht?«
»Das ist wahr.« Inez verzieht den Mund. »Aber wenn Sie und ich zusammenarbeiten, wären wir unschlagbar. Cora ist bereit, Dutzende von Mädchen in den Händen der Brüder leiden, wenn nicht sogar sterben zu lassen. Sie wird Ihnen sagen, dass Opfer gebracht werden müssen, dass es Jahre dauern wird, bis wir so weit sind, die Macht mit den Brüdern zu teilen – und auch nach Jahren wäre es bloß geteilte Macht.« Schwester Inez spuckt die Worte regelrecht aus. »Wenn es nach mir ginge, wären wir innerhalb von ein paar Monaten an der Macht. Sie und Mr Belastra könnten heiraten, statt sich heimlich treffen zu müssen.«
Ich beuge mich vor und stütze die Hände auf den Tisch. Darauf liegt das Brot, das Schwester Sophia fürs Frühstück gebacken hat. »Ich habe meine Absichtsbekundung bereits hinter mir. Ich kann nicht mehr heiraten.«
Inez lehnt sich mir von der anderen Seite des Tisches entgegen. »Wenn das Bestehen der Schwesternschaft nicht länger von Bedeutung wäre, könnten Sie tun, was immer Sie wollen.«
Inez benutzt meine Gefühle für Finn, um mich zu beeinflussen. Ich weiß es, und doch bin ich nicht dagegen gefeit. Ihre Argumente überzeugen mich. Nach dem, was wir heute Abend mit ansehen mussten, sind Inez’ Argumente vielleicht sogar überzeugender als Schwester Coras Vorsicht.
»Werden Sie mit ihm reden? Werden Sie ihn bitten, sich auf die Stelle zu bewerben?«
Ich zögere. »Was müsste er sonst noch tun?«
»Vorerst nichts weiter.« Inez pustet die Kerze aus. »Sie tun das Richtige, Miss Cahill. Setzen Sie Ihr Vertrauen in mich, und ich werde mich darum kümmern, dass wir beide bekommen, was wir wollen.«
Kapitel 5
Am nächsten Morgen
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