Töchter des Mondes - Sternenfluch (German Edition)
deren Stelle ich sein könnte, wenn die Schwesternschaft vor ein paar Wochen nicht eingegriffen und Tess keine Gedankenmagie angewendet hätte. Nein, ich habe Angst, dass eine Alarmglocke ertönt, die die Anwesenheit einer Hexe verkündet, wenn wir jetzt durch die drohend vor uns aufragenden Tore fahren und ich dann für immer hier bleiben muss.
Es ist verrückt, absichtlich hierherzukommen. Ich kann nichts dagegen tun, dass diese unbeschreibliche, abergläubische, panische Angst mir durch die Adern jagt und meinen ganzen Körper zu Eis erstarren lässt.
Schwester Sophia legt ihre warme Hand auf die meine, und die Übelkeit lässt nach. »Beruhig dich, Cate«, murmelt sie. »Du wirst keinem der Mädchen helfen können, wenn du in dieser Verfassung dort hineingehst.«
Sie ist so viel mutiger als ich. Und auch Addie und Pearl und Mei, die jede Woche wieder hierherkommen. Wenn Cora nicht vorgeschlagen hätte, dass ich mit Zara rede, wäre ich dann freiwillig mit auf eine Heilmission gegangen? Oder hätte ich mich dahinter versteckt, die verkündete Hexe zu sein, diejenige, die nicht in Gefahr gebracht werden darf, und weiter andere an meiner Stelle gehen lassen, obwohl meine Gabe, was das Heilen angeht, alle anderen übertrifft? Ich habe geübt, und auch wenn das Heilen mich schwächt und mir übel davon wird, gibt es mir eine Befriedigung wie keine andere Art der Magie es bisher vermochte. Ich bin gut darin. Besser als jede andere in der Klosterschule.
Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich in etwas die Beste.
In etwas Nützlichem jedenfalls.
Die Kutsche hält vor einem gewaltigen schmiedeeisernen Tor, auf dem HARWOOD HEILANSTALT steht. Hoher Stacheldrahtzaun erstreckt sich zu beiden Seiten.
Robert wechselt ein paar Worte mit dem Wachmann. Währenddessen erhasche ich einen ersten flüchtigen Blick auf das monströse Gebäude auf dem seichten Hang. Es ist ein bedrohliches dreistöckiges Haus aus grauen, von der Witterung gezeichneten Steinen. An beiden Enden des zweiflügeligen Gebäudes stoßen riesige Schornsteine Rauchwolken in den blassen Himmel. Vor den meisten Fenstern befinden sich Eisengitter, manche sind sogar zugemauert.
Wieder kommt die Kutsche zum Stehen. Robert hilft uns einer nach der anderen hinunter auf den vereisten Weg. Meine Hände im Pelzmuff sind zu Fäusten geballt. Wir folgen Schwester Sophia wie vier verängstigte Entenküken.
Noch ehe wir läuten können, öffnet uns eine Vorsteherin mit weißer Schürze die Tür. Die Haare über ihrer faltigen Stirn sind grau und gewellt. Sie hat eine Knollennase und gerötete Wangen. »Schwestern, der Herr segne Sie für Ihr Kommen.«
»Es ist unsere Pflicht, denen, die weniger mit Glück gesegnet sind, beizustehen«, sagt Schwester Sophia.
»Dank sei dem Herrn«, murmelt die Vorsteherin und winkt uns hinein. »Kommen Sie, kommen Sie, raus aus der Kälte. Wie üblich der Saal mit den Aufsässigen zuerst?«
Nachdem wir zwei Stockwerke emporgestiegen sind, bleiben wir vor einer großen Tür stehen, die den gesamten Südflügel abriegelt. Die Vorsteherin nimmt einen Messingschlüssel von einer Kette um ihren Hals und dreht ihn im Schloss. Als sie die Tür aufstößt, verschränke ich die Hände auf dem Rücken, damit sie aufhören zu zittern.
Ich weiß nicht, was ich erwartet habe – ein Tollhaus von schreienden und fluchenden Mädchen, ärgerliches Schimpfen und verzweifelte Hilferufe? –, aber es ist totenstill wie auf einem Friedhof. Die Gesichter, die sich uns zuwenden, sind leer, die Augen gefühllos. Es lässt mich frösteln.
Der Raum ist in Dunkelheit gehüllt, keine Kerzen oder Gaslampen spenden Licht. Unwillkürlich rümpfe ich die Nase – es riecht nach einer Mischung aus Nachttopf und grober Laugenseife. Zwei Reihen Betten stehen auf beiden Seiten des langen Ganges, an dessen Ende ein erloschener Kamin in die Wand eingelassen ist. Ein Feuer wäre hier wahrscheinlich ein zu großes Wagnis. Trotz der Wärme, die mein Umhang spendet, ist mir kalt.
Die Frauen hier müssen unglaublich frieren. Sie tragen dünne weiße Blusen und derbe braune Röcke aus Sackleinen, die aussehen wie Mehlsäcke. Ein paar haben sich raue Wolldecken um die Schultern geschlungen. Die Mädchen sind dünn und hohlwangig, als wenn sie nicht genug zu essen bekämen. Sie haben verfilzte Haare, dreckige Gesichter und Flecken auf den Blusen.
Die zwei neben der Tür sitzenden Krankenschwestern erheben sich, und die etwas Dralle stöhnt, als ihre Knie knirschen. »Seht
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