Töchter des Mondes - Sternenfluch (German Edition)
übernehmen kann, aber bis dahin wird sie bei Inez’ Führung mitreden wollen – wie Inez das wohl gefallen wird? Tess ist zwar jung, aber sie hatte schon immer recht starke Überzeugungen; sie wird sich nicht mit einer Rolle als Inez’ Marionette zufriedengeben. Ob Inez bereit sein wird, Tess’ Ansichten zu berücksichtigen, oder wird sie– wie Maura – Tess’ Meinungen als die eines unreifen Kindes abtun?
Ich bin stolz auf Tess, dass sie trotz ihrer Angst den Kopf nicht verliert. Sie ist wirklich die Klügste und Beste von uns dreien.
»Wir haben ein Problem, Miss Cahill«, sagt Schwester Inez. Ihre Stimme ist hart und schneidend, und da wird mir klar, dass es um etwas Ernsteres geht als um meine Vorstellung heute.
»Was gibt es denn?«, frage ich.
»Bruder Belastra hat sich auf die Stelle als Denisofs Schreiber beworben, aber ihm steht anscheinend jemand im Weg. Uns steht jemand im Weg.«
Finn ist niemandem verpflichtet außer seiner Mutter. Ist in Chatham etwas passiert? Ich denke an Hannah Maclay, und mich schaudert.
»Bruder Ishida sträubt sich, seinen Neuling schon wieder aufzugeben«, sagt Inez. Während sie spricht, lässt sie die Magielehrbücher in ihrem Regal hinter der Illusion von harmlosen Spanischfibeln verschwinden. Die zwölf Handspiegel, in denen wir unsere Abbilder als Brüder betrachtet haben, werden zu einem Dutzend kleiner Staffeleien mit unschuldigen Wasserfarben. »Er fordert, dass Belastra dem Rat von Chatham ein ganzes Jahr dient, ehe er eine andere Stelle antritt. Denisof ist natürlich von viel höherem Rang, aber Schreiber gibt es wie Sand am Meer, und er wird Belastra nicht nehmen, wenn es unnötige Aufregung verursacht.«
Verdammt. Ausgerechnet Ishida muss uns Probleme bereiten. Ich verabscheue diesen Mann. »Was sollen wir tun?«
»Wie sehr wünschen Sie sich denn, dass Bruder Belastra in New London bleibt?«, fragt Inez.
Ich sehe ihr in die Augen. »Sehr.« Vielleicht sollte ich ihn gehen lassen, es als Zeichen sehen, dass er zu Hause sicherer wäre, aber der Gedanke, dass er nach Chatham zurückgehen könnte, ist vernichtend.
»Sie kennen Ishida. Statten Sie ihm einen Besuch ab. Beschwören Sie ihn, Belastra gehen zu lassen.« Inez beugt sich wie ein langer schwarzer Schatten über den Tisch. »Können Sie das?«
Meine Mundwinkel heben sich zu einem Lächeln. Um ehrlich zu sein, habe ich nicht die geringsten Bedenken, bei Ishida Gedankenmagie anzuwenden. »Ja, das kann ich.«
»Ausgezeichnet. Wir haben keine Zeit zu verlieren, Miss Cahill.« Sie kann ihre Ungeduld kaum verbergen und trommelt mit ihren dünnen Fingern auf den Tisch. »Sagen Sie Belastra, sein erster Auftrag ist, Ort und Zeit der nächsten Sitzung des Höchsten Rats herauszubekommen.«
»Ich werde mich noch heute darum kümmern«, verspreche ich.
Dieses Mal stelle ich keine Fragen.
Ich kann Rory nirgendwo finden – nicht in ihrem Zimmer im zweiten Stock, das sie sich mit Daisy teilt, und auch nicht im Wohnzimmer oder der Küche. Die Bibliothek wäre ein ungewöhnlicher Ort für sie, aber trotzdem sehe ich auch dort nach. Schwester Gretchen sitzt einen deutschen Roman lesend hinter ihrem Tisch und beaufsichtigt ein Dutzend lernende Mädchen.
»Ist Rory hier?«, frage ich flüsternd.
»Cora hat vor ein paar Minuten nach ihr geschickt«, sagt Gretchen.
Oh nein. Ich nehme zwei Stufen auf einmal. Was hat Rory nur angestellt, um in so kurzer Zeit schon zur Schulleiterin gerufen zu werden. Sie hat mir doch versprochen, sich zu benehmen! Sie schien sich auch daran zu halten – sie war vielleicht ein bisschen niedergeschlagen, aber sie hat nicht ein einziges Mal nach Sherry gerochen oder unanständige Witze gemacht –, obwohl, um ehrlich zu sein, war ich mit meinen Gedanken auch woanders. Möglicherweise hätte ich mich mehr um sie kümmern sollen. Sie muss schrecklich einsam und halb verrückt vor Sorge um Sachi sein.
Sachi. Ich habe kaum noch an sie gedacht in all dem Trubel um die Ankunft meiner Schwestern. Wo sie wohl gefangen gehalten wird? Was muss sie durchmachen, während sie auf ihre Verhandlung wartet, wo sie doch ganz genau weiß, wie wahrscheinlich es ist, dass sie lebenslänglich nach Harwood geschickt wird?
Von panischer Angst erfasst, platze ich in Coras Wohnzimmer. »Was auch immer sie getan hat, es tut ihr leid«, verkünde ich atemlos. »Bitte, schicken Sie sie nicht fort.«
»Catherine«, sagt Schwester Cora, »wovon redest du bloß?«
»Von mir, schätze ich.« Rory sitzt
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