Töchter des Mondes - Sternenfluch (German Edition)
preisgekrönten Orchideen im Gewächshaus.
Ich ziehe mir die Nadeln aus dem Haar, damit meine Hände etwas zu tun haben. »Hast du etwas über uns gesehen?« Sie zögert, und ich werde panisch. »Was war es? Wenn du es mir nicht sagst, werde ich mir das Schlimmste ausmalen.«
Tess errötet. »Ich habe dich und Finn Belastra gesehen. Ihr habt euch geküsst. Es war dunkel. Du hattest ein rosafarbenes Kleid mit Rosen darauf an. Es ist das Kleid, das Elena für dich mitgebracht hat; ich habe ihr geholfen, den Stoff auszusuchen, nachdem ich dich darin gesehen hatte. Du sahst wunderschön aus.«
»Oh.« Jetzt erröte auch ich.
»Du triffst dich heimlich mit ihm, oder?«, fragt Tess. Ihre Stimme ist vollkommen neutral. Wie froh können wir doch sein, dass es Tess ist, die diese Vorhersehungen hat. Diese Fähigkeit in den Händen der falschen Person, das wäre furchtbar. Wenn es Maura wäre … nun. Ich bin froh, dass es Tess ist. »Ist er ein Spion? Er kann nicht wirklich an die Bruderschaft glauben. So einer ist er nicht.«
»Hast du das auch sehen können?« Ungeduldig beuge ich mich vor.
Tess sieht mich an, als wäre ich beschränkt. Es muss ihr schon wieder besser gehen. »Nein. Das sagt mir mein gesunder Menschenverstand. Ich kann mir nicht anders erklären, warum er die Buchhandlung sonst hätte schließen sollen, außer es war, um dir damit irgendwie zu helfen. Er liebt Bücher.« Sie schenkt mir ein kleines, weises Lächeln. »Aber dich liebt er anscheinend noch mehr.«
»Hast du noch mehr über mich gesehen oder dich oder Maura?«
»Ich habe gesehen, wie wir gestern Schwester Coras Brief geöffnet haben. Deswegen habe ich auch meinen Tee darübergeschüttet«, gibt sie zu. Sie nimmt eines der Bücher, die sie vorhin getragen hat. »Seit ich hier bin, lese ich über die Seherinnen. Ich muss herausfinden, ob die Vorhersehungen immer wahr werden oder ob sich manchmal auch Einzelheiten verändern. Wenn ich schlimme Dinge sehe, kann ich dann verhindern, dass sie passieren? Ich habe mich schrecklich gefühlt, als Adam Collier durchs Eis gebrochen ist. Sein Vater hat ihn rechtzeitig gefunden, und es geht ihm gut, aber … es hätte auch schlimm ausgehen können.«
»Das wäre aber nicht deine Schuld gewesen.«
Tess sieht mich misstrauisch an. »Das ist nett von dir, dass du das sagst, aber du würdest anders darüber denken, wenn du es wärst, oder?«
Ich lehne mich gegen das Kopfteil aus Messing zurück, das Haar fällt mir offen über die Schultern. Sie hat recht, ich sollte ihr keine falschen Zusicherungen machen. Das hier ist nicht das Problem eines Kindes, also sollte ich sie auch nicht so behandeln. »Ja, wahrscheinlich. Ich bin froh, dass du es mir erzählt hast. Danke, dass du dich mir anvertraut hast.«
Tess nickt und zeichnet mit dem Finger Kreise auf den roten Lederumschlag des Buches. »Ich glaube, ich sollte es erst einmal niemandem sonst erzählen. Aber ich fühle mich schrecklich, weil ich es Maura nicht sage.« Sie holt stockend Luft. »Ich habe Angst, dass sie wütend auf mich ist, wenn sie es herausfindet. Sie will unbedingt die verkündete Hexe sein. Aber es ist einfach ein zu großes Geheimnis, um es für mich allein zu behalten. Ich … ich habe Angst, Cate.«
Das habe ich auch.
Kapitel 10
Am nächsten Nachmittag ruft Schwester Inez mich nach dem Unterricht zu sich. Langsam stapfe ich zu ihrem Schreibtisch. Ich fürchte mich vor der Rüge, die ich gleich erhalten werde. In der heutigen Stunde haben wir geübt, uns den Anschein von bestimmten Mitgliedern der Bruderschaft zu geben. Rilla war einfach unglaublich gut, wie sie uns alle mit ihrem unheimlichen Auftreten als Covington erschreckt hat. Und Maura hat sich fast die ganze Stunde in Bruder Ishida verwandelt. Doch obwohl ich ein sehr klares Bild von O’Shea im Kopf hatte, konnte ich den Anschein von ihm nicht länger als zwei Minuten aufrechterhalten. Das Ergebnis – mein schokoladenbraunes Brokatkleid in Kombination mit seinem langen, schmalen Gesicht und kahlen Schädel – hat mir zu Recht sowohl Mauras und Alice’ Gegacker als auch die mir bevorstehende Predigt eingetragen.
Um die Wahrheit zu sagen, ich kann nicht aufhören, mir Sorgen um Tess zu machen. Ich war nie begeistert von der Vorstellung, dass ich die verkündete Hexe sein könnte, aber es gefällt mir gar nicht, dass sie die Last jetzt auf ihre schmalen Schultern nehmen muss. Es sind noch vier Jahre hin, bis sie volljährig wird und die Leitung der Schwesternschaft
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