Töchter des Mondes - Sternenfluch (German Edition)
wasserfallartig um mich.
Mit funkelnden blauen Augen sieht meine Schwester auf mich herab. »Ich habe vor, die Schwesternschaft anzuführen, Cate. Ich wäre dir sehr dankbar, wenn du dich mir nicht in den Weg stellen würdest. Die Zeit des Nettseins ist vorbei.«
Ich zucke zusammen, als ich mich wieder aufrapple, und fasse nach meinem Ellbogen, der gegen das Kreidekästchen geknallt ist. Das wird einen blauen Fleck geben. »Deswegen erzählst du also allen, ich wäre von Finn sitzen gelassen worden und dumm und feige, damit du mich erniedrigen kannst? Um mich bei jeder Gelegenheit vorzuführen?«
Meine Schwester reibt sich über das herzförmige Gesicht. »Das hier wäre alles so viel einfacher ohne dich«, sagt sie nur, und mir läuft es kalt den Rücken hinunter.
Oh.
»Was meinst du damit?«, flüstere ich mit klopfendem Herzen.
Sie weicht zurück und bleibt neben Schwester Gretchens Pult stehen. »Du bringst mich dazu, dass ich immer wieder aus der Fassung gerate und dumme, verletzende Sachen sage, die ich nicht so meine, und … Ich kann es eben nicht vergessen, wie du Elena dazu gebracht hast, sich gegen mich zu wenden. Sie setzt sich für dich ein, weißt du? Sie sagt zwar, dass sie mich gerne hat, aber sie denkt, du wärst die bessere Anführerin.« Maura lacht rau und blickt mir in die Augen. »Wenn du nicht wärst, hätte ich alles, was ich will.«
Ich habe Fehler gemacht, sicher. Vielleicht war ich gedankenlos, sturköpfig, aber ich war niemals absichtlich unfreundlich. Ich liebe Maura. Ich würde alles für sie tun.
»Ich will dich nicht bekämpfen, Cate, wirklich nicht«, sagt sie. »Aber ich werde auch nicht klein beigeben.«
»Das werde ich auch nicht.« Das kann ich nicht. Nicht, wenn die Zukunft der Schwesternschaft und all der Mädchen in Harwood auf dem Spiel steht.
Ich sehe meine Schwester an, und obwohl sie genau hier vor mir steht, im gleichen Raum wie ich, scheint sie mir meilenweit entfernt.
Ich weiß nicht mehr, wie ich sie erreichen soll.
Beim Abendessen kommt Schwester Sophia auf mich zu und zieht die Blicke all der anderen Mädchen auf mich.
»Entschuldige, dass ich deine Mahlzeit unterbreche, Cate«, sagt sie und berührt mich an der Schulter. »Cora verlangt nach dir.«
Die Unterhaltung an unserem Tisch stockt und hört schließlich ganz auf. Überall im Esszimmer wird auf einmal getuschelt.
»Natürlich«, sage ich, falte meine Serviette und lege sie auf den Tisch. Es muss wirklich schlimm sein, wenn Sophia nicht mehr helfen kann.
»Soll ich dir das Essen auf dein Zimmer bringen?«, fragt Tess. Sie sitzt beim Frühstück immer mit Lucy und Rebekah und den jüngeren Mädchen zusammen, aber abends isst sie mit mir.
»Nein, danke.« Ich werfe einen bedauernden Blick auf die gebratenen Süßkartoffeln, den Flaschenkürbis und das Hühnchen auf meinem Teller. Nach dem Heilen werde ich nichts davon mehr essen wollen, und es ist besser, derlei Magie nicht mit vollem Magen zu praktizieren.
Im Esszimmer stehen fünf lange Eichentische – vier für die Schülerinnen und einer für die Lehrerinnen. Nach ihrem Streit mit Alice heute Nachmittag hat Vi sich an unseren Tisch gesetzt und damit viel Aufsehen erregt. Maud ist mit ihr gekommen, sie blickt jedoch immer wieder ängstlich zu Alice’ Tisch hinüber.
So wie ich. Als ich sehe, dass Maura mich anstarrt, blicke ich schnell wieder weg.
Sie ist wütend auf mich und eifersüchtig. Doch darüber wird sie hinwegkommen. So ist es nun einmal unter Schwestern; es ist ja beileibe nicht das erste Mal, dass ein Konkurrenzkampf zwischen uns entbrannt ist.
Aber das hier ist wichtiger, als die Frage, zu welcher von uns beiden Tess zuerst krabbeln wird, wer Mutter in die Stadt begleiten darf oder wer ein neues Kleid bekommt. Das hier offenbart im Grunde, wer wir wirklich sind und wozu wir bestimmt sind.
Maura hat noch nie einen Hehl daraus gemacht, klüger, hübscher, ehrgeiziger, interessanter und talentierter zu sein als ich. Bisher habe ich das so hingenommen und den Stachel ignoriert.
Ich habe immer gedacht, sie hätte recht damit.
Ich stehe auf und entferne mich hoch erhobenen Hauptes vom Tisch, ohne dem Tuscheln Beachtung zu schenken. Ich bin diejenige, nach der Schwester Cora verlangt; ich bin die Einzige, die ihr helfen kann. Das muss doch irgendetwas zählen.
Sophia bringt mich in Coras Wohnzimmer und bleibt wie ein flatternder heller Nachtfalter in der Tür stehen. Ich setze mich auf den geblümten Sessel neben Coras. Eine
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